Es ist 20:05 Uhr, als der Motor brummt und wir endlich aufbrechen. Die Aufregung hängt in der Luft, aber sie wird schnell von einem klassischen Stopp unterbrochen: der Tankstelle. Für 43 Euro Diesel beginnt die Reise – ein kleiner Vorgeschmack darauf, dass noch viele, viele Kilometer vor uns liegen, auf unserem Weg mit zwei hintereinanderfahreden Wagen. Schon in den ersten Minuten hält uns meine Tante Obst entgegen, als wolle sie uns mit einem Stück Heimat auf die lange Reise schicken. So geht es los, mit der Autobahn vor uns und dem Regen, der bald einsetzt, als wolle er die Welt um uns einlullen.

Der Regen prasselt auf das Dach, Lina, meine kleine Schwester, vertreibt sich die Zeit mit dem Handy meines Vaters – ich habe leider keinen Akku. Natürlich. Währenddessen zündet sich meine Mutter ihre erste Zigarette an, ein Moment, der mir seltsam bedeutend vorkommt. Die Fliege am Fenster scheint sich entschieden zu haben, uns bis in die Türkei zu begleiten. Und schon bald fahren wir durch die Nacht, Richtung Frankfurt. Die Lichter der Stadt tauchen die dunklen Straßen in einen leichten Schimmer, als ob sie uns still ein „Gute Reise“ zuflüstern.

Die ersten Pausen, die ersten Streitigkeiten – Berfin und Helin, meine Cousinen, zanken darüber, wer mehr ins Reisetagebuch geschrieben hat. Es sind die kleinen Dramen, die so eine Reise lebendig machen. Und dann, als wir in die Dunkelheit eintauchen und das vertraute Gefühl der Langeweile uns überkommt, fallen die Augen zu. Doch der nächste Tag wartet schon – und er bringt seine ganz eigenen Abenteuer mit.

Das Auto macht plötzlich Geräusche. Es klingt, als ob ein Plastikteil irgendwo am Reifen klappert. Papa und Büyük Abi – mein Onkel, der von uns allen übersetzt „großer Bruder“ genannt wird – legen sich unters Auto, finden ein paar kleine Ölflecken, aber keine offensichtliche Ursache. Wir fahren weiter, und die Geräusche sind plötzlich weg. Einfach so. Als hätte das Auto beschlossen, uns nicht weiter zu belästigen.

Die Kilometer schwinden, die Stunden ziehen sich dahin. Jede Rast wird zum Highlight des Tages. Eine neue Vignette hier, ein Tankstopp dort. Es sind diese alltäglichen, unscheinbaren Momente, die sich langsam zu einem Abenteuer aufbauen. In Slowenien kaufen wir eine Vignette für den Tunnel, in Serbien wechseln wir Geld und versuchen, die unterschiedlichen Währungen im Blick zu behalten. Alles hat seinen Preis, und doch ist jede Begegnung, jeder Halt eine kleine Erinnerung, die man mit nach Hause nimmt.

Edirne, Istanbul, Samsun – die Orte verschmelzen fast miteinander, jeder mit seiner eigenen Geschichte. Der Bosporus, auf dem wir eine Bootstour unternehmen, bleibt uns besonders im Gedächtnis. Ein Moment der Stille, während wir auf das Wasser hinausblicken und die beiden Welten – Europa und Asien – vor unseren Augen zusammenfließen. Und natürlich ist da die überfüllte Istiklal Caddesi, wo das Leben pulsiert und wir abends einfach durch die Menge treiben. Ein wenig verloren, ein wenig fasziniert.

Doch die Reise hat auch ihre Schattenseiten. Mein Vater hat eines Abends Schmerzen in der Brust, was uns dazu zwingt, ins Krankenhaus zu fahren. Diese Sorge, die uns plötzlich überkommt, bringt uns alle ein Stück näher zusammen. Es sind solche Momente, in denen man merkt, wie wichtig Familie ist – auch wenn man sich zwischendurch über die kleinsten Dinge streitet. Und dann war da noch der Yabancılar Pazarı, ein riesiger Markt voller Fake-Waren, der uns für ein paar Stunden die Sorgen vergessen ließ. Hier verflogen die Stunden, und wir fanden uns bald wieder lachend inmitten von Menschenmengen.

Am 4. August steht der Besuch am Grab unseres Großvaters an. Eine stille, nachdenkliche Zeit, in der wir für ihn beten und uns an ihn erinnern. Der Tag endet mit einem gewaltigen Mahl, das unser Onkel Ahmet übernimmt – eine Geste, die uns zeigt, dass die Familie auch durch solche traurigen Momente verbunden bleibt.

Die Rückreise nach Deutschland? Ein anderes Abenteuer. 32 Grad im Schatten, Stau an jeder Ecke, und dann der Moment, als das Auto von Büyük Abi einfach den Geist aufgibt. Wir stehen auf der Autobahn, und die Sonne brennt gnadenlos auf uns herab. 41 Grad, kein Schatten, und Berfin wird schwindelig. Doch irgendwie schaffen wir es, das Auto wieder zum Laufen zu bringen – ein kurzer Moment des Triumphes inmitten der Strapazen.

Und schließlich, nach gefühlt endlosen Stunden, steuern wir auf das Zuhause zu. Die letzten Kilometer ziehen sich, die Müdigkeit hängt in der Luft, aber gleichzeitig schwingt da diese Zufriedenheit mit. Es ist vorbei, das Abenteuer ist zu Ende – und doch bleibt es irgendwie lebendig. In unseren Köpfen, in unseren Geschichten.

Diese Reise war alles: aufregend, anstrengend, lustig, nervenaufreibend und manchmal auch ganz banal. Aber genau das ist es doch, was eine gute Reise ausmacht, oder? Sie fordert uns heraus, lässt uns lachen, bringt uns zusammen – und am Ende sind wir ein wenig anders, als wir es am Anfang waren.

Vielleicht hast du beim Lesen ein wenig mitgefühlt, ein bisschen geschmunzelt und dich an eigene Abenteuer erinnert. Wenn ja, dann hast du es wohl verstanden: Reisen ist mehr als nur Kilometer abreißen. Es ist ein Gefühl, das uns auf unerwartete Weise berührt.

Von Kamil Cakir

Zielstrebig, kritisch und sportlich: Ein ständiges Hinterfragen gesellschaftlicher Entwicklungen und ein Fokus auf Bildung und Bewegung prägen den Alltag

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