Habt ihr schon einmal eure 12 Jahre alten Kinder in einem fremden Land allein auf sich gestellt mit einem Handy in der Hand? Wir haben es getan – in Frankreich. Mit dem Einverständnis beider Kinder und aller Eltern ließen wir zwei Cousinen im gleichen Alter allein in einem fremden Land und dort in einem Einkaufszentrum nahe des Zentrums, wo wir Eltern spazieren gingen. Wir hatten einen Treffpunkt vereinbart, und die Kinder sollten sich melden, wenn sie fertig waren. Nach einer Weile klingelte das Handy: Die beiden wollten weiter ins Stadtzentrum. Auch das erlaubten wir. Es war ein witziger Zufall, dass wir uns dabei ein paar Mal über den Weg liefen, bevor jeder wieder in seine eigene Richtung verschwand.

Die Kinder standen vor mehreren Herausforderungen. Sprachbarrieren machten das Bestellen von Essen und Bezahlen schwierig. Doch trotz dieser Hürden hatten sie eine Menge Spaß und waren unglaublich stolz auf sich. Sie hatten es geschafft, sich allein in einer fremden Stadt zurechtzufinden. Was hat das mit ihnen gemacht, und warum haben wir das zugelassen?

Erfahrungen wie diese sind wertvoll für die Entwicklung von Kindern. Sie fördern das Selbstbewusstsein und die Selbstständigkeit. Psychologen und Pädagogen bestätigen, dass Kinder, die solche Herausforderungen meistern, stärker in ihrer Persönlichkeit werden. Sie lernen, Probleme selbstständig zu lösen, entwickeln Resilienz und stärken ihre sozialen Kompetenzen.

Indem wir ihnen diesen Freiraum gaben, signalisierten wir unser Vertrauen in ihre Fähigkeiten. Dieses Vertrauen ist entscheidend. Kinder, die das Gefühl haben, dass ihre Eltern ihnen etwas zutrauen, sind motivierter, diese Erwartungen auch zu erfüllen. Das stärkt ihr Selbstvertrauen und ihre Selbstwirksamkeitserwartung – das Wissen, dass sie in der Lage sind, Herausforderungen zu meistern.

Natürlich hatten auch wir Eltern „kleine“ Sorgen. Was, wenn sie sich verlaufen? Was, wenn etwas Unvorhergesehenes passiert? Doch wir waren vorbereitet: Die Kinder hatten ein Handy dabei, das sie sich ausliehen, wir waren in der Nähe, und wir hatten klare Treffpunkte und Zeitabsprachen vereinbart. Diese Vorkehrungen gaben uns die Sicherheit, dass wir im Notfall schnell eingreifen könnten.

Wissenschaftliche Studien zeigen, dass Kinder, die regelmäßig kleine Risiken eingehen dürfen, besser auf größere Herausforderungen im späteren Leben vorbereitet sind. Sie lernen, mit Unsicherheiten umzugehen und kreative Lösungen zu finden. Die Kinder meisterten in unserem Beispiel die sprachlichen und kulturellen Hürden und waren am Ende des Tages stolzer und selbstbewusster.

Für Eltern, die ihren Kindern ähnliche Erfahrungen ermöglichen möchten, gibt es ein paar Einstiegstipps: Beginnt mit kleinen Schritten. Lasst eure Kinder in einer vertrauten Umgebung alleine einkaufen oder ein kleines Abenteuer unternehmen. Sprecht vorher über mögliche Schwierigkeiten und wie sie diese lösen könnten. Vertraut euren Kindern, aber seid in der Nähe und erreichbar, falls sie Hilfe brauchen. Und vor allem: Ermutigt sie, ihre Erfahrungen zu reflektieren und daraus zu lernen.

Unser Experiment in Frankreich hat uns gezeigt, wie viel Potenzial in unseren Kindern steckt, wenn wir ihnen die Chance geben, es zu entdecken. Sie haben nicht nur eine fremde Stadt erkundet, sondern auch viel über sich selbst gelernt. Und wir als Eltern haben gelernt, wie wichtig es ist, loszulassen und darauf zu vertrauen, dass unsere Kinder mehr können, als wir manchmal glauben.

Von Selma Cakir

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