Stell dir vor, du gehst an einem See spazieren, wie du es schon oft getan hast. Dieses Mal fällt dir plötzlich etwas auf, das du bisher nie bemerkt hast: Schilder, die den Weg zum Campingplatz weisen. Dabei sind diese Schilder nicht neu. Sie waren immer da. Warum hast du sie vorher nie gesehen? Warum dieses Mal? Dieses Phänomen ist faszinierend und allgegenwärtig in unserem Leben. Es nennt sich selektive Wahrnehmung.

Selektive Wahrnehmung ist die Fähigkeit unseres Gehirns, bestimmte Informationen aus unserer Umgebung auszuwählen und andere auszublenden. Wissenschaftlich erklärt, basiert diese Fähigkeit auf der Arbeitsweise unseres Gehirns und dem sogenannten „Retikulären Aktivierungssystem“ (RAS). Das RAS ist ein Netzwerk aus Neuronen im Gehirnstamm, das eine Schlüsselrolle bei der Steuerung von Aufmerksamkeit und Wachsamkeit spielt. Es filtert die unzähligen Reize, die ständig auf uns einströmen, und lässt nur jene durch, die unser Gehirn als relevant erachtet. Dies hilft uns, in einer Welt voller Informationen zu überleben und effektiv zu funktionieren.

Ein Beispiel aus dem Alltag verdeutlicht dies: Stell dir vor, du möchtest dir ein neues Auto kaufen, und du interessierst dich besonders für ein bestimmtes Modell. Plötzlich siehst du dieses Auto überall – auf der Straße, in Werbeanzeigen, in Gesprächen. Dein Gehirn hat das Auto als wichtig markiert und filtert alle anderen Informationen heraus, um sich auf das Auto zu konzentrieren. Diese Veränderung in der Wahrnehmung zeigt, wie unser Gehirn funktioniert.

Aus der Sicht eines menschlichen Betrachters ist dieses Phänomen leicht nachvollziehbar. Unsere Aufmerksamkeit ist begrenzt, und wir können uns nicht auf alles gleichzeitig konzentrieren. Daher fokussieren wir uns auf das, was in unserem Leben aktuell von Bedeutung ist oder worauf wir unser Interesse lenken. Dies ist auch der Grund, warum wir oft erst dann bestimmte Dinge wahrnehmen, wenn sie für uns relevant werden.

Die selektive Wahrnehmung ist auf alle Bereiche unseres Lebens übertragbar, sei es in der Schule, bei der Arbeit oder im sozialen Umfeld. In der Schule nehmen wir vor allem das wahr, was wir als wichtig für unsere Prüfung empfinden. Bei der Arbeit konzentrieren wir uns auf die Aufgaben, die unser Chef als vorrangig bezeichnet hat. Und im sozialen Umfeld bemerken wir besonders die Verhaltensweisen und Aussagen, die unsere bestehenden Überzeugungen und Meinungen bestätigen.

Warum ist das so? Unser Gehirn ist darauf programmiert, effizient zu arbeiten. Es kann nicht jede einzelne Information verarbeiten, die uns begegnet. Stattdessen setzt es Prioritäten und fokussiert sich auf das, was es als bedeutungsvoll einstuft. Diese Effizienz ermöglicht es uns, schneller und besser Entscheidungen zu treffen, aber sie kann auch dazu führen, dass wir wichtige Informationen übersehen, wenn wir sie nicht als relevant erachten.

Dieses Wissen über die selektive Wahrnehmung kann uns helfen, bewusster mit unserer Umgebung umzugehen. Wenn wir uns dessen bewusst sind, dass unser Gehirn filtert, können wir aktiv versuchen, unsere Wahrnehmung zu erweitern und auch Dinge zu beachten, die wir sonst vielleicht übersehen würden. Es ist eine Einladung, unsere Augen zu öffnen und unsere Aufmerksamkeit bewusst zu steuern, um ein umfassenderes Bild der Welt um uns herum zu erhalten.

Selektive Wahrnehmung ist ein faszinierendes Phänomen, das tief in der Funktionsweise unseres Gehirns verwurzelt ist und unser tägliches Leben stark beeinflusst. Indem wir verstehen, wie und warum wir nur das empfangen, was wir empfangen wollen, können wir bewusster entscheiden, worauf wir unsere Aufmerksamkeit lenken und unser Bewusstsein erweitern.

Von Kamuran Cakir

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