Stell dir vor, du versuchst, deinen Weg zur Genesung von einer Essstörung zu finden. Die große Auswahl der Gesundheitsratschläge ist dabei nicht gerade hilfreich: Einerseits wird dir gesagt, du sollst auf deinen Körper hören, auf seine Bedürfnisse achten und dich intuitiv bewegen. Andererseits schreit die öffentliche Gesundheitspraxis nach genauen Zahlen – wie viele Schritte du täglich gehst, wie viele Kalorien du zu dir nimmst, wie viele Stunden du trainierst. Für jemanden, der gerade versucht, sich von einer Essstörung zu erholen, können diese widersprüchlichen Botschaften mehr Verwirrung stiften als helfen. Aber was wäre, wenn es einen Weg gäbe, diese beiden Ansätze zu vereinen?

Eine Gruppe von Forscherinnen der Durham University, darunter Dr. Hester Hockin-Boyers, Dr. Kimberly Jamie und Professorin Stacey Pope, hat genau das untersucht. Ihre Forschung, veröffentlicht in der Zeitschrift „Sociology of Health & Illness“, legt nahe, dass die Kombination scheinbar gegensätzlicher Ansätze im Gesundheitsmanagement tatsächlich einen positiven Beitrag zur Genesung von Essstörungen leisten kann. Sie nennen diesen neuen Ansatz „intuitives Tracking“.

Für viele Menschen, die sich von einer Essstörung erholen, ist Bewegung ein besonders schwieriger Bereich. Einerseits wird ihnen geraten, ihre Bewegungen intuitiv zu gestalten, auf ihren Körper zu hören und übermäßig kontrolliertes Verhalten zu vermeiden. Andererseits fordern viele Gesundheitsprogramme eine detaillierte Überwachung – sei es durch das Zählen von Schritten oder das genaue Nachverfolgen der Kalorienaufnahme. Dieser Widerspruch kann besonders für Menschen mit einer Vorgeschichte von Essstörungen problematisch sein, da er zu einem Zwiespalt führt: Sollten sie nun auf ihre Intuition hören oder doch lieber auf Zahlen vertrauen?

Die Forscherinnen untersuchten eine Gruppe von Frauen, die Gewichtheben als Teil ihrer Genesung von einer Essstörung nutzten. Gewichtheben ist eine besondere Form der Bewegung, da es nicht nur eine gesunde Gewichtszunahme fördert, sondern auch das Verständnis und die Wertschätzung für den eigenen Körper stärkt. Diese Frauen waren in der Lage, einen Weg zu finden, der beide Ansätze – Intuition und Tracking – erfolgreich kombinierte. Sie nannten diesen Ansatz „intuitives Tracking“.

„Intuitives Tracking“ bedeutet, dass die Betroffenen das tiefe Wissen, das sie über die Auswirkungen von Essen und Bewegung auf ihren Körper haben, auf eine positive und gesunde Weise nutzen. Dabei greifen sie auf Tracking-Methoden zurück, um ihre Gesundheitsziele zu unterstützen, aber ohne dabei den Fokus auf ihre eigenen Körperwahrnehmungen und Bedürfnisse zu verlieren. Die Frauen in der Studie nutzten zum Beispiel Bewegungs- und Ernährungspläne, um ihre Ziele beim Gewichtheben zu erreichen, und gaben sich gleichzeitig die Erlaubnis, auf ihren Körper zu hören, wenn er Ruhe und Erholung brauchte.

Dieser gemischte Ansatz könnte besonders wertvoll für Menschen sein, die mit einem rein intuitiven Ansatz nicht zurechtkommen. Er bietet eine Struktur, die ihnen hilft, ihre Ziele zu verfolgen, ohne dass sie dabei in alte, übermäßig kontrollierte Verhaltensmuster zurückfallen.

Für Therapeuten, die Menschen mit Essstörungen behandeln, könnte „intuitives Tracking“ eine neue Strategie darstellen, die helfen könnte, den Genesungsprozess zu unterstützen.

Vielleicht liegt die Zukunft der Behandlung von Essstörungen in der Akzeptanz, dass es keinen Einheitsansatz gibt. Manchmal können zwei scheinbar gegensätzliche Methoden kombiniert werden, um einen neuen, effektiveren Weg zu finden. „Intuitives Tracking“ könnte genau das sein – ein neuer, integrativer Ansatz, der den Weg zu einem gesünderen und ausgewogeneren Leben ebnen kann.

Von Kamuran Cakir

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