Du sitzt gerade gemütlich auf der Couch. Der Fernseher läuft, du hast endlich mal ein paar Minuten Zeit für dich. Aber plötzlich tauchen sie auf, diese kleinen, nagenden Gedanken. „Ist der Kühlschrank noch voll genug?“ – „Wann hat das Kind nochmal diesen Zahnarzttermin?“ – „Oh nein, der Geburtstag von Tante Anna steht vor der Tür. Ich brauche noch ein Geschenk.“ Diese Gedanken kommen leise, aber bestimmt. Und obwohl du körperlich gerade entspannst, ist dein Kopf schon längst wieder in Aktion. Du planst, organisierst, denkst voraus – und das alles, während du eigentlich „abschalten“ wolltest.

Das, was da in deinem Kopf passiert, ist nicht einfach nur Gedächtnisarbeit. Es ist Mental Load, die unsichtbare Last, die viele von uns im Alltag tragen. Oft bemerkt sie niemand, aber sie ist da – immer und überall. Vor allem Frauen sind davon betroffen, weil sie, so zeigt es die Forschung, in vielen Haushalten die Rolle der Hauptorganisatorin übernehmen. Warum? Weil die Gesellschaft es immer noch so vorlebt. Die Frau managt den Haushalt, auch wenn sie nebenbei genauso hart arbeitet wie ihr Partner.

Das Problem dabei: Mental Load fühlt sich an wie ein niemals endendes Gedankenkarussell. Es dreht sich immer weiter und lässt sich kaum stoppen. Du machst vielleicht nicht alle Aufgaben selbst, aber du bist diejenige, die daran denkt, wer sie machen muss, wann sie gemacht werden müssen und wie. Wenn du also den Müll nicht rausbringst, erinnerst du deinen Partner daran, dass er es tun soll. Wenn du das Geschenk nicht besorgst, weißt du zumindest, dass es noch besorgt werden muss. Und dieses „An-alles-denken-Müssen“ ist es, was uns auslaugt, auch wenn man es auf den ersten Blick gar nicht sieht.

Lass uns ein alltägliches Beispiel nehmen. Du stehst morgens auf, bereit für einen neuen Tag. Dein Partner hat sich freundlicherweise um das Frühstück gekümmert. Das klingt nach Entlastung, oder? Aber während du den Kaffee trinkst, checkst du mental bereits die To-Do-Liste: Ist der Joghurt für den Nachmittag eingepackt? Hat das Kind alle Schulsachen? Muss ich heute noch zum Einkaufen oder reicht das, was im Kühlschrank ist? Diese Liste nimmt kein Ende. Selbst wenn du Aufgaben delegierst, bleibt das Denken an die Aufgabe oft bei dir hängen. Es fühlt sich an, als müsstest du immer der „Manager“ des Haushalts sein – und das kann verdammt anstrengend werden.

Eine wissenschaftliche Studie aus Frankreich hat gezeigt, dass Frauen oft doppelt so viel Zeit wie Männer damit verbringen, an Haushaltsaufgaben zu denken, selbst wenn beide Partner berufstätig sind. Es ist dieses ständige „Mental Gymnastics“, das dafür sorgt, dass sich viele von uns am Ende des Tages so erschöpft fühlen, obwohl wir vielleicht gar nicht so viel physische Arbeit geleistet haben.

Aber warum sprechen wir so wenig darüber? Weil Mental Load oft als selbstverständlich angesehen wird. Man sieht sie nicht, und deshalb bleibt sie unsichtbar. Bis zu dem Punkt, an dem du eines Tages völlig ausgelaugt bist und dich fragst, warum du dich so erschöpft fühlst, obwohl du doch eigentlich nicht „mehr“ gemacht hast als sonst. Und genau hier liegt der Haken: Die Last, die du trägst, ist nicht greifbar. Sie ist mental. Sie verbraucht deine Energie still und heimlich, ohne dass du es merkst.

Aber was können wir tun? Zuerst einmal: darüber sprechen. Mental Load ist nicht „normal“ oder „einfach Teil des Lebens“, sie ist eine Belastung, die geteilt werden sollte. Es geht nicht nur darum, wer den Müll rausbringt, sondern auch darum, wer daran denkt, dass der Müll rausgebracht werden muss. Vielleicht wäre es ein guter Anfang, in deiner Familie oder Partnerschaft darüber zu sprechen. Kann die Planung und Organisation auf mehr Schultern verteilt werden? Und ja, das erfordert vielleicht eine bewusste Anstrengung. Aber es kann so entlastend sein, wenn du nicht mehr die einzige Person bist, die an alles denkt.

Ein humorvolles Bild, das oft verwendet wird, um Mental Load zu beschreiben, ist das des „Projektmanagers des Haushalts“. Stell dir vor, du bist der CEO eines kleinen Unternehmens – und dieses Unternehmen heißt „Zuhause“. Du koordinierst alles, weißt über jede Kleinigkeit Bescheid, jonglierst mit Terminen, Einkäufen, Arztbesuchen und Freizeitaktivitäten. Doch während der CEO in einem echten Unternehmen Assistenten und Teams hat, die ihm helfen, läuft bei dir alles allein. Kein Wunder, dass du irgendwann nicht mehr weißt, wo dir der Kopf steht!

Die gute Nachricht: Es gibt Wege, diese Last zu teilen. Durch Gespräche, Offenheit und klare Absprachen kann Mental Load gerechter verteilt werden. Das bedeutet nicht, dass du plötzlich nichts mehr tun musst, aber es heißt, dass du nicht mehr die einzige Person bist, die ständig an alles denken muss. Und das kann schon eine große Erleichterung sein.

Also, wenn du das nächste Mal auf der Couch sitzt und die Gedanken wieder anfangen, dich zu überfallen, denk daran: Du musst nicht alles allein tragen. Es ist okay, loszulassen, Verantwortung abzugeben und dir selbst eine Pause zu gönnen. Mental Load ist real – und je mehr wir darüber reden, desto eher können wir etwas daran ändern.

Und wer weiß? Vielleicht ist der nächste Schritt, dass du beim nächsten Familienrat einmal die Frage stellst: „Wer trägt hier eigentlich die ganze Last im Hintergrund?“ Das könnte eine interessante Diskussion werden, die dir den Raum gibt, ein wenig mehr von dieser unsichtbaren Last loszuwerden.

Von Kamuran Cakir

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