Es gibt da diese Situation, die wir alle schon einmal erlebt haben. Man steht mit dem Rücken zur Wand, der Schweiß auf der Stirn, weil eine Frist abläuft oder eine Verpflichtung droht, die man einfach nicht mehr ignorieren kann. Es mag die Kündigung des Mietverhältnisses sein, weil man seit Wochen die Miete nicht überwiesen hat, oder vielleicht der Chef, der auf eine längst überfällige Arbeit wartet. Und dennoch ertappt man sich dabei, den Gedanken zu hegen: „Ach, zwei Tage, was macht das schon?“
Hier beginnt das Problem. Diese zwei Tage, dieser kurze Aufschub, er erscheint so harmlos, fast wie ein Rettungsanker. Doch in Wahrheit ist es eine Zeitbombe, die nur darauf wartet, zu explodieren. Ein „Morgen“ wird zu einem „Übermorgen“, und ehe man sich versieht, sind die Tage in ein Nichts zerronnen. Das Versprechen, das man sich selbst und anderen gegeben hat, wurde einmal mehr gebrochen – nicht, weil man es nicht konnte, sondern weil man nicht wollte. Oder besser: Weil man glaubte, dass die Zeit dehnbar ist, dass man das Ruder noch rechtzeitig herumreißen kann.
Aber ist es nicht faszinierend, wie wir Menschen funktionieren? Wir sind Meister im Verdrängen, im Ignorieren der Realität, solange diese uns nicht direkt in die Augen blickt. Da zieht der Tag vorbei, und man denkt sich: „Morgen kümmere ich mich darum.“ Und „morgen“ kommt, und mit ihm neue Ablenkungen, neue Gründe, warum „übermorgen“ doch genauso gut ist. Doch das Versprechen, dieses unscheinbare Stück Verantwortung, das man übernommen hat, bleibt bestehen. Es liegt schwer wie ein Stein im Bauch, auch wenn man es mit jeder Ausrede ein bisschen leichter erscheinen lassen will.
Denken wir doch mal an den Studenten, der seine Abschlussarbeit schreibt. Er weiß, dass die Abgabe naht, aber hey, es sind ja noch zwei Wochen Zeit. Also gönnt er sich einen weiteren Tag Netflix. Schließlich muss man sich ja auch mal entspannen, oder? Und dann, ein paar Tage später, sitzt er da, mitten in der Nacht, die Finger fliegen hektisch über die Tastatur, und die Panik steigt in ihm hoch. „Hätte ich doch nur früher angefangen“, denkt er sich. Aber das bringt jetzt auch nichts mehr.
Ähnlich ist es mit dem Mieter, der seinem Vermieter bereits versprochen hat, dass das Geld „am ersten“ kommt. Doch was, wenn der erste plötzlich da ist und das Konto immer noch leer? „Noch zwei Tage“, denkt er, „das wird schon keiner merken.“ Doch der Vermieter merkt es. Und während man sich in Sicherheit wiegt, türmen sich im Hintergrund die Probleme auf, leise, aber beständig.
Und genau da liegt der Hund begraben: Wir alle wissen, dass wir am Ende die Konsequenzen tragen müssen, doch wir tun so, als könnten wir dem entkommen. Wissenschaftler haben dieses Phänomen gründlich untersucht und sprechen dabei von einem sogenannten „Zeitoptimismus“ – der irrigen Annahme, dass wir mehr Zeit haben, als wir tatsächlich besitzen, und dass sich Probleme von selbst lösen, wenn man ihnen nur lange genug aus dem Weg geht. Eine Studie der Harvard Business School hat gezeigt, dass Menschen dazu neigen, kurzfristige Entscheidungen zu bevorzugen, selbst wenn diese langfristig negative Folgen haben. Sie schieben Aufgaben auf, weil das menschliche Gehirn lieber Sofortbelohnungen wie Entspannung oder Ablenkung genießt, anstatt sich mit unangenehmen Verpflichtungen auseinanderzusetzen.
Wir erkennen oft erst zu spät, dass wir uns selbst ins Bein schießen. Diese zwei Tage, die man meint, problemlos verschieben zu können, sind in Wirklichkeit der schleichende Weg in die Katastrophe. Es ist, als würde man einen kleinen Schritt zurück in Richtung eines Abgrunds machen, immer mit dem Gedanken: „Noch ist nichts passiert, ich habe noch Platz.“ Doch irgendwann gibt es kein Zurück mehr.
Es mag hart klingen, aber die Wahrheit ist, dass unsere Versäumnisse uns irgendwann einholen – und das oft in den unpassendsten Momenten. Es ist wie der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Wir glauben, dass ein bisschen mehr Aufschub nicht schadet, doch dieser kleine Tropfen fügt sich zu all den anderen, bis nichts mehr hält.
Vielleicht ist es Zeit, den ernst der Lage zu erkennen, bevor es zu spät ist. Vielleicht ist es an der Zeit, uns ehrlich zu fragen: Warum glauben wir eigentlich, dass „später“ immer eine Option ist? Was wäre, wenn wir einfach einmal unseren Verpflichtungen nachkommen – heute, jetzt, sofort? Sicher, es mag unbequem sein, vielleicht sogar anstrengend, doch die Erleichterung, die folgt, wenn man es geschafft hat, ist unvergleichlich. Und wer weiß, vielleicht vermeidet man so den freien Fall in den Abgrund, den man selbst geschaffen hat.
Also, das nächste Mal, wenn du vor einem unerledigten Versprechen stehst, frag dich selbst: Willst du wirklich das Risiko eingehen, oder ist es nicht doch einfacher, das Heute zu nutzen? Zwei Tage mögen sich kurz anfühlen, aber manchmal können sie das ganze Leben verändern.