Die Magie des Zählens: Es gibt Momente, da fühlt es sich an, als würde unser Gehirn plötzlich auf Hochtouren laufen. Ein einziges Wort oder eine Bemerkung kann eine wahre Flut an Emotionen und Gedanken auslösen. Plötzlich stehen wir gedanklich auf einem Schlachtfeld – bereit für den verbalen Kampf. Alle „Abteilungen“ in unserem Kopf schalten sich ein: die Abteilung für Wut, die Abteilung für Stolz, und natürlich die Abteilung für „Das-hab-ich-dir-immer-schon-mal-sagen-wollen!“ Sie alle sind bereit, sich gegenseitig anzufeuern und unsere Zunge in Bewegung zu setzen. Doch was passiert, wenn wir uns in diesem Moment entscheiden, einfach bis 6 zu zählen?

Stell dir vor, während du zählst, siehst du die Zahlen wie kleine Tänzer vor deinem inneren Auge vorbeiziehen – eins, zwei, drei – sie gleiten an dir vorbei, fast schwerelos. Und mit jeder Zahl merkst du, wie das Feuer in deinem Inneren, das eben noch lichterloh brannte, langsam nachlässt. Vier, fünf, sechs. Irgendetwas verändert sich in deinem Kopf. Plötzlich haben all die Abteilungen, die eben noch so sehr auf Konfrontation aus waren, das Interesse verloren. Die Wut zieht sich zurück, der Stolz setzt sich in die Ecke, und die „Das-hab-ich-dir-schon-mal-sagen-wollen“-Abteilung fängt an, Kreuzworträtsel zu lösen. Es ist, als hätten sie alle gemerkt, dass der Kampf gar nicht so notwendig ist, wie sie dachten.

Die Wissenschaft bestätigt, dass solch eine kleine Pause, wie das Zählen bis 6, unser Gehirn tatsächlich dazu bringen kann, die Lage neu zu bewerten. Wenn wir uns in stressigen oder emotional aufgeladenen Momenten bewusst eine Sekunde Zeit nehmen, um bis 6 zu zählen, geben wir unserem Gehirn die Chance, sich neu zu sortieren. Es ist, als würden wir die Reset-Taste drücken. Unser Nervensystem, das in Sekundenbruchteilen auf Angriffsmodus umschaltet, bekommt durch diese bewusste Unterbrechung ein Signal: „Stopp, hier gibt es nichts zu kämpfen.“ Die stressbedingte Aktivierung der Amygdala – dem Zentrum für Angst und Aggression – nimmt ab, und stattdessen gewinnt der präfrontale Kortex, der Teil des Gehirns, der für rationales Denken zuständig ist, wieder die Kontrolle.

Und wenn du es dir bildlich vorstellst, wird es noch viel klarer. Dein Gehirn arbeitet wirklich wie ein Team. Stell dir vor, wie sie alle in einem großen Büro sitzen. Die Abteilung für Gefühle in der einen Ecke, die Abteilung für Logik in der anderen. Sie alle haben ihre Aufgaben und manchmal gibt es einfach diese Meetings, in denen alle durcheinanderreden, jeder will das letzte Wort haben. Genau in so einem Moment hilft das Zählen bis 6. Es ist, als würdest du in den Raum kommen und sagen: „Ruhe! Jeder geht wieder an seinen Schreibtisch.“ Plötzlich hat keiner mehr Lust auf ein Streitgespräch, jeder beschäftigt sich wieder mit seinen eigenen Aufgaben, und die Stimmung entspannt sich.

In unserem Alltag gibt es viele Momente, in denen wir dieses kleine, einfache Werkzeug nutzen könnten. Stell dir vor, du stehst im Stau. Der Fahrer vor dir fährt viel zu langsam und du spürst, wie sich die Wut in dir aufbaut. Bevor du wild hupst, atmest du tief durch und beginnst zu zählen. Eins, zwei, drei – plötzlich fällt dir auf, dass das Hupen die Sache nicht beschleunigen würde. Vier, fünf, sechs – und plötzlich denkst du: „Hey, vielleicht hat der Typ einfach einen schlechten Tag.“ Und anstatt wütend zu sein, lehnst du dich zurück und drehst die Musik etwas lauter.

Oder denk an einen Streit mit deinem Partner. Die Diskussion wird hitzig, und du fühlst, wie die Worte nur so herausschießen wollen. Aber anstatt loszulegen, atmest du tief ein und zählst bis 6. Während die Zahlen in deinem Kopf vorbeiziehen, merkst du, dass die Situation gar nicht so schlimm ist, wie du dachtest. Vielleicht ist es einfach nur ein Missverständnis, das ihr später klären könnt. Und plötzlich ist der Drang, laut zu werden, verschwunden.

Das Zählen bis 6 mag einfach klingen, aber es hat eine tiefgreifende Wirkung. Es ist, als würde man dem Gehirn eine kurze Pause gönnen, bevor man in den Sturm der Emotionen hineinrutscht. Diese bewusste Pause kann der Schlüssel sein, um uns selbst zu beruhigen, uns zu sammeln und Situationen mit mehr Klarheit zu begegnen. Und wer weiß – vielleicht rettet sie uns sogar vor manchem unnötigen Streit.

Das nächste Mal, wenn du merkst, dass deine innere „Konfliktabteilung“ aktiv wird, versuch es einfach. Zähle bis 6, lass die Zahlen an dir vorbeiziehen, und beobachte, wie dein Gehirn sich entspannt. Du wirst überrascht sein, wie viel Frieden in dieser einfachen Übung steckt.

Von Kamuran Cakir

Aus einem anderen Blickwinkel

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