„Davon geht schon die Welt nicht unter.“ Ein Satz, fast beiläufig ausgesprochen, eine spontane Beruhigung, eine Art Elternreflex… Eine verschüttete Milch, ein zerbrochenes Spielzeug, ein nicht gemachter Hausaufgabenzettel – aus unserer erwachsenen Sicht sind es Kleinigkeiten. Doch dann kam die Antwort:
„Doch, meine Welt schon.“
Ein Satz, der trifft. Ein Satz, der uns für einen Moment innehalten lässt. Was für uns ein unbedeutender Zwischenfall ist, kann für ein Kind ein riesiges Problem sein. Kinder leben im Hier und Jetzt, ihre Gefühle sind intensiv, ungefiltert, absolut. Ihr Lieblingsspielzeug ist nicht nur ein Gegenstand – es ist ein Freund. Eine nicht bestandene Prüfung ist nicht nur eine Note – es ist eine Bedrohung ihrer Weltordnung.
Und dann widerum geschah zu einer späteren Zeit etwas Faszinierendes: Das Kind begann, diesen Satz, dass die Welt schon nicht gleich untergehen werde, selbst zu benutzen. Es übernahm ihn, integrierte ihn in seine Sprache, machte ihn sich zu eigen. Aber was bedeutet das? Ist das nun gut oder schlecht?
Worte sind nicht bloß Luftbewegungen, sie sind Gedanken, die sich in Schall verwandeln. In der Sprachwissenschaft gibt es die Theorie des linguistischen Relativismus, die besagt, dass Sprache unser Denken beeinflusst. Wenn ein Mensch eine bestimmte Formulierung immer wieder hört und verwendet, wird sie zu einem festen Bestandteil seiner Wahrnehmung. Ein Beispiel: In manchen Sprachen gibt es zahlreiche Begriffe für Schnee, in anderen nur einen. Wer viele Worte für Schnee kennt, nimmt dessen Unterschiede genauer wahr.
Übertragen auf unseren Satz: Wer gelernt hat, dass „davon schon die Welt nicht untergeht“, entwickelt mit der Zeit eine Art emotionalen Filter. Probleme werden relativiert. Eine gesunde Fähigkeit zur Gelassenheit entsteht – eine wichtige Kompetenz im Leben. Resilienz, die innere Widerstandskraft gegen Krisen, beginnt oft mit der inneren Haltung.
Aber genau hier liegt auch die Gefahr. Was, wenn das Kind nicht nur Gelassenheit lernt, sondern auch, eigene Emotionen herunterzuspielen? Wenn es sich irgendwann bei tieferem Schmerz, bei echten Ängsten oder Enttäuschungen sagt: „Ach, das ist doch nicht so schlimm.“ Wenn es sich nicht mehr traut, Gefühle zu zeigen, weil es gelernt hat, dass sie „nicht weltbewegend“ sind?
Es ist eine schmale Brücke zwischen „Ich nehme Dinge nicht zu schwer“ und „Ich nehme mich selbst nicht ernst“. Und genau hier liegt die pädagogische Verantwortung. Ein Satz wie „Davon geht die Welt nicht unter“ kann in manchen Momenten helfen, ein gesundes Maß an Realitätssinn zu vermitteln – aber er sollte nicht der einzige sein.
Was wäre, wenn wir ihn erweitern?
„Da geht schon die Welt nicht unter – aber ich verstehe, dass es sich für dich gerade so anfühlt.“
Das nimmt das Problem nicht weg, aber es gibt dem Kind die Erlaubnis, seine Gefühle zu haben. Es vermittelt: Deine Welt ist wichtig. Deine Gefühle sind echt. Und trotzdem wird es besser werden.
Denn genau darum geht es: Eine Sprache zu finden, die Gelassenheit lehrt, ohne Emotionen zu unterdrücken. Ein Kind stark zu machen, ohne es abzustumpfen. Ihm die Werkzeuge zu geben, Krisen zu bewältigen, ohne ihm beizubringen, dass seine Sorgen keine Bedeutung haben.
Denn vielleicht geht davon wirklich nicht die Welt unter – aber es lohnt sich, die kleine Welt eines Kindes ernst zu nehmen.
