Veganer essen kein Fleisch. Keine Milchprodukte. Keine Eier. Keine tierischen Bestandteile, in welcher Form auch immer. Soweit so klar. Aber dann sieht man sie im Supermarkt stehen – vor den Kühlregalen mit veganen Burgern, Würstchen, Hackfleisch, Schnitzeln. Alles aus Erbsenprotein, Soja, Weizengluten. Aber optisch? Fast zum Verwechseln ähnlich mit dem, was sie eigentlich ablehnen. Der Gedanke drängt sich auf: Ist das nicht ein Widerspruch? Wenn jemand sich so sehr vom Fleisch distanzieren möchte, warum sollte er dann Dinge essen, die genau so aussehen und schmecken?
Die Frage ist berechtigt. Und sie trifft einen Nerv. Denn sie rüttelt an Grundüberzeugungen und stellt das Selbstbild auf die Probe. Ist das also Selbstbetrug? Oder steckt mehr dahinter?
Viele Menschen werden vegan, weil sie Tiere nicht als Nahrungsmittel betrachten wollen. Sie lehnen das System dahinter ab – Massentierhaltung, Leid, Ausbeutung. Andere steigen aus gesundheitlichen Gründen um. Und dann gibt es die, die sich um die Umwelt sorgen. Denn eines steht fest: Die industrielle Fleischproduktion ist ein gigantischer Klimakiller. Regenwälder werden für Futtermittel gerodet, Tonnen von Wasser verbraucht, Methan in Massen ausgestoßen. Also entscheidet man sich: Kein Fleisch mehr.
Doch Geschmack ist eine Erinnerung. Wer jahrelang mit Sonntagsbraten aufgewachsen ist, mit Grillabenden, mit dem deftigen Biss in eine Bockwurst, der kann das nicht einfach abschalten. Geschmack ist ein Teil von Kultur, von Kindheit, von Gemeinschaft. Und genau hier kommt das vegane Fleisch ins Spiel. Es ist kein Verrat an der Überzeugung, sondern oft ein Kompromiss. Eine Möglichkeit, die alte Gewohnheit zu behalten, aber ohne das, was man daran nicht mehr unterstützen möchte.
Hier wird oft eine Argumentation bemüht, die sich ungefähr so anhört: „Wenn du auf Fleisch verzichtest, dann steh auch dazu. Isst du Gemüse, dann isst du bitte auch nur Gemüse.“ Klingt schlüssig. Bis man sich fragt: Warum? Muss ein Vegetarier, der keinen Fisch isst, auch auf Algensalat verzichten, weil er an Meer erinnert? Muss jemand, der keinen Zucker isst, plötzlich alle Süßspeisen aus seinem Leben verbannen? Die Welt ist nicht schwarz-weiß. Menschen suchen Übergänge, Alternativen, neue Wege.
Letztlich ist es eine Frage der Perspektive. Ist eine vegane Wurst eine Kopie von etwas, das man ablehnt? Oder ist es eine neue, moderne Variante, die es ermöglicht, die Esskultur fortzusetzen, ohne dabei Kompromisse in der eigenen Moral einzugehen? Vielleicht liegt die Antwort darin, wie man die Frage stellt. Denn wenn man sagt: „Warum isst du etwas, das wie Fleisch aussieht?“ könnte man genauso fragen: „Warum sollte jemand, der Fleisch liebt, aber Tiere schützen möchte, nicht eine bessere, tierfreundlichere Version davon genießen?“
Und wenn wir ganz ehrlich sind – ist es nicht faszinierend, was möglich ist? Dass man heute ein Steak aus Pilzfasern essen kann, das fast identisch aussieht? Dass aus Erbsenmilch Käse wird, aus Weizeneiweiß ein knuspriges Schnitzel? Vielleicht ist es nicht Selbstbetrug. Vielleicht ist es einfach Evolution.
