Es fängt früh an. Viel früher, als wir vielleicht denken. Noch bevor wir uns zum ersten Mal bewusst im Spiegel betrachten und entscheiden, ob das eigene Spiegelbild gefällt oder nicht, hat unser Gehirn längst eine Vorstellung davon, was als „normal“, „schön“ oder „ideal“ gilt. Und das Faszinierende daran: Diese Vorstellung ist nicht in Stein gemeißelt. Sie ist formbar, wandelbar – und oft stärker von dem geprägt, was wir sehen, als von dem, was wir tatsächlich sind.

Kinder, so zeigen aktuelle Forschungen, entwickeln bereits im Grundschulalter eine erstaunlich flexible Wahrnehmung von Körpergewichten. Mit gerade einmal sieben Jahren können sie ihr Urteil darüber, was als „dick“ oder „dünn“ gilt, anpassen – einfach nur, indem sie viele Bilder mit einem bestimmten Körperbau sehen. Das bedeutet: Wer immer wieder schlanke Körper vor Augen hat, wird unbewusst seine Maßstäbe verschieben. Und genau hier wird es brisant.

Denn das betrifft nicht nur Kinder. Es begleitet uns ein Leben lang. Wir alle kennen diesen Effekt: Nach einer Stunde auf Instagram, in der nur makellose, trainierte Körper auftauchen, wirkt der Blick in den eigenen Spiegel plötzlich ernüchternd. Oder umgekehrt: Wer einige Zeit in einer Umgebung verbringt, in der die Menschen entspannter mit ihrem Körper umgehen, merkt, wie sich auch das eigene Empfinden verändert. Wir denken oft, unser Körperbild sei eine feste Größe – doch in Wahrheit ist es ein Chamäleon, das sich unserer Umgebung anpasst.

Der Einfluss der Medien ist dabei nicht zu unterschätzen. Erwachsene sind oft davon überzeugt, dass sie sich solchen Einflüssen entziehen können – schließlich weiß man ja, dass vieles in Werbung und sozialen Netzwerken bearbeitet ist. Doch unser Gehirn unterscheidet nicht zwischen Realität und Bildbearbeitung. Es zählt nur: Was sehe ich am häufigsten? Und daraus zieht es seine Schlüsse.

Noch interessanter ist die Frage: Woher kommt unser Maßstab eigentlich ursprünglich? Die Forschung zeigt, dass die Vorstellungen von „gesund“, „schön“ oder „attraktiv“ stark kulturell geprägt sind. Was in einem Land als ideal gilt, kann anderswo als unattraktiv empfunden werden. In einigen Regionen der Welt, in denen der Einfluss westlicher Medien gering ist, gibt es ganz andere Schönheitsideale. Aber sobald moderne Medien dort Einzug halten, verändert sich die Wahrnehmung oft innerhalb weniger Jahre.

Ein weiteres Phänomen: Frauen und Männer erleben diesen Druck unterschiedlich. Während Frauen in vielen westlichen Ländern oft den Druck verspüren, möglichst schlank zu sein, gibt es für Männer ein anderes Ideal – Muskeln, Fitness, ein durchtrainierter Körper. Doch auch hier spielen Bilder eine entscheidende Rolle. Je nachdem, welche Körper uns am häufigsten begegnen, wandeln sich die Vorstellungen davon, was als „normal“ gilt.

Und dann gibt es noch diesen paradoxen Effekt: Während die Gesellschaft insgesamt vielfältiger wird und mehr Körperformen akzeptiert, fühlen sich viele Menschen unsicherer denn je. Mehr Sichtbarkeit bedeutet nicht automatisch mehr Akzeptanz. Im Gegenteil: Je stärker das Bewusstsein für Körperbilder geschärft wird, desto mehr Menschen vergleichen sich – oft mit unrealistischen Vorbildern.

Was kann man daraus lernen? Vielleicht vor allem eines: Unser Körperbild ist kein statisches Konzept, sondern eine Form von Wahrnehmung – und Wahrnehmungen kann man verändern. Wer bewusst darauf achtet, welche Bilder er konsumiert, kann sich selbst ein Stück weit davor schützen, in ungesunde Vergleiche zu geraten. Vielleicht geht es gar nicht darum, das perfekte Bild von sich selbst zu haben, sondern darum, den Maßstab, mit dem wir uns messen, immer wieder zu hinterfragen.

Und wer weiß – vielleicht bedeutet das beste Körperbild gar nicht, einem Ideal zu entsprechen, sondern einfach zu akzeptieren, dass wir in einem Körper leben, der uns durchs Leben trägt. Und das allein ist eigentlich schon ein ziemlich gutes Bild.

Von Kamuran Cakir

Aus einem anderen Blickwinkel

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