Man sitzt abends auf dem Sofa, die Teetasse dampft, die Füße sind warm, und irgendwo fragt die Lieblingsserie wieder, ob „für immer“ wirklich machbar ist. Es scheint fast, als hätte unsere Gesellschaft ein romantisches Ideal auf ein Podest gestellt, das so hoch ist, dass man nur mit einem Teleskop erkennen kann, wer dort wirklich steht: die Monogamie – dieser alte Bekannte, der sich als einzig richtiger Weg zur ewigen Liebe ausgibt. Und doch – die Realität da draußen erzählt längst eine andere Geschichte. Eine, die sich so bunt und vielfältig zeigt wie das menschliche Bedürfnis nach Nähe selbst.
Es gibt Paare, die morgens gemeinsam den Kaffee trinken, sich mittags liebevoll Nachrichten schicken – und abends getrennte Wege gehen, weil er noch ein Date mit seinem langjährigen Freund hat. Und nein, das ist keine Seifenoper, sondern für viele Menschen gelebte Realität: Nicht-monogame Beziehungen, bei denen Offenheit nicht nur ein netter Begriff aus Ratgeberbüchern ist, sondern der Kern des Miteinanders.
Die Idee, dass nur Monogamie wahre Erfüllung bringt, sitzt tief. Man bekommt sie mit der Muttermilch, mit Kinderbüchern, mit Liedtexten und Hochzeitsfilmen eingeimpft. Der Prinz und die Prinzessin, Punkt. Wer mehr als eine große Liebe in sich trägt, hat offenbar etwas nicht verstanden – so das unterschwellige Narrativ. Aber stimmt das überhaupt? Ist es wirklich so, dass zwei Menschen aufeinander fixiert, verschlossen vor der Welt, automatisch mehr Glück erfahren?
Wer heute hinschaut – wirklich hinschaut – entdeckt: Es gibt nicht den einen Weg zur erfüllten Liebe. Weder auf der Straße der Monogamie noch auf den Pfaden der offenen oder polyamoren Beziehungen ist das Glück vorprogrammiert. Wer glaubt, dass Exklusivität automatisch Vertrauen schafft, irrt genauso wie jemand, der denkt, dass Offenheit immer automatisch befreit. Es ist nicht die Form, die entscheidet, sondern das gelebte Miteinander.
In aktuellen Untersuchungen zeigt sich, dass Menschen in offenen oder polyamoren Beziehungen keineswegs unzufriedener sind als ihre monogamen Gegenstücke. Im Gegenteil: Die emotionale Nähe, das Vertrauen, das Aushandeln von Grenzen, das bewusste Kommunizieren – all das kann Beziehungen jenseits der klassischen Zweierkonstellation besonders stabil machen. Denn während in monogamen Beziehungen das Thema Treue oft wie ein Damoklesschwert über allem hängt, ist in nicht-monogamen Strukturen genau dieser Punkt häufig bereits ehrlich besprochen. Was ist erlaubt? Was fühlt sich gut an? Wo sind die Grenzen? Es sind keine unausgesprochenen Erwartungen, sondern klare Vereinbarungen, die Sicherheit geben – auch wenn sie für Außenstehende ungewohnt wirken.
Natürlich ist das nicht für jeden etwas. Und das muss es auch gar nicht sein. Es geht nicht darum, das Eine gegen das Andere auszuspielen. Wer sich in einer klassischen monogamen Beziehung wohlfühlt, die auf Vertrauen und Verlässlichkeit basiert, lebt genauso wertvoll wie jemand, der verschiedene Menschen liebt – und ehrlich damit umgeht. Aber es geht darum, den Mythos zu hinterfragen, dass nur eine Form der Liebe die richtige sei. Dass Monogamie automatisch gleichbedeutend mit Nähe, Leidenschaft und Stabilität ist. Denn die Forschung sagt: Nein, ist sie nicht. Sie kann es sein – aber sie ist es nicht per se.
Vielleicht kennen wir alle jemanden, der sich heimlich verliebt hat, obwohl er in einer Beziehung war. Oder jemanden, der schon früh wusste, dass er mehrere Menschen gleichzeitig lieben kann – aber sich nicht traute, das auszusprechen. Vielleicht waren wir selbst schon mal da. Vielleicht haben wir versucht, in ein Beziehungskorsett zu passen, das für uns zu eng war. Und vielleicht wäre es Zeit, die Vielfalt menschlicher Nähe einfach anzuerkennen, statt sie zu bewerten.
Denn am Ende geht es doch um etwas ganz anderes: Verbindlichkeit, Kommunikation, Ehrlichkeit – egal in welchem Modell. Liebe ist kein Einheitsanzug. Sie ist eher wie ein gutes Kleidungsstück, das man sich selbst schneidert, nach der eigenen Passform, nach eigenen Farben und Mustern.
Manchmal bedeutet Liebe, gemeinsam alt zu werden und nie mit jemand anderem zu flirten. Manchmal bedeutet sie, sich gegenseitig die Freiheit zu schenken, andere zu berühren, zu begehren, zu lieben – und trotzdem das Gefühl zu haben, zuhause zu sein. Und manchmal ist es ein bisschen von allem – nicht immer ordentlich, aber ehrlich.
Vielleicht sollten wir damit aufhören, eine Form der Beziehung zur Norm zu machen. Vielleicht sollten wir anfangen, zu fragen: Was tut dir gut? Was macht dich glücklich? Und vielleicht liegt in dieser Offenheit die eigentliche Überlegenheit – nicht der Monogamie, nicht der Nicht-Monogamie, sondern der menschlichen Fähigkeit, sich immer wieder neu aufeinander einzulassen.
