Mara sitzt an ihrem Schreibtisch, starrt auf ihr Mathebuch und fragt sich, ob sie vielleicht einfach nicht der „richtige Lerntyp“ ist. Schließlich hat ihre Lehrerin einmal gesagt, sie sei wohl kein „visueller Typ“, weil sie sich Diagramme nie merken kann. Aber was heißt das überhaupt? Lerntypen – das klingt so schön geordnet, so einfach: Du hörst lieber zu? Dann bist du auditiv. Du kritzelst mit? Haptisch. Du schaust dir Bilder an? Visuell. Und so weiter. Einmal eingeordnet, fertig ist das Rezept fürs lebenslange Lernen. Nur – so funktioniert Lernen nicht.

Die Idee, Menschen in feste Lerntypen einzuteilen, hält sich hartnäckig wie ein alter Kaugummi unter dem Tisch – obwohl die Wissenschaft diesen längst als überholt erklärt hat. Denn unser Gehirn ist kein Baukasten mit genau einem passenden Schraubenschlüssel. Es ist ein Netzwerk, ein Mosaik, eine wandelbare, geniale Wundertüte. Es lernt ständig – und zwar mit allem, was es hat.

Die Vorstellung, dass jemand nur auf eine bestimmte Weise lernen kann, ist nicht nur irreführend – sie kann sogar blockieren. Wenn ein Kind glaubt, es könne nur durch Hören verstehen, schaltet es beim Lesen vielleicht ab. Wenn Erwachsene meinen, sie müssten sich alles als Film vorstellen, um es zu begreifen, übersehen sie vielleicht den Aha-Moment beim Durchdenken. Die Forschung zeigt längst: Menschen profitieren davon, wenn sie Inhalte auf verschiedene Arten verarbeiten – also lesen, hören, schreiben, erzählen, bewegen, ausprobieren, kombinieren. Und je mehr Sinneskanäle dabei beteiligt sind, desto tiefer gräbt sich das Gelernte ins Gedächtnis ein.

Das bedeutet nicht, dass man keine Vorlieben hat. Natürlich fühlt sich das eine leichter an als das andere – so wie manche lieber tanzen als joggen oder lieber kochen als backen. Aber auch ein leidenschaftlicher Tänzer kann durch regelmäßiges Joggen fit werden. Genau das gilt fürs Lernen auch. Es ist weniger eine Frage des Typs als eine Frage der Übung, Neugier, Motivation – und manchmal auch schlicht der Tagesform.

Schau dir Kinder beim Spielen an: Sie probieren aus, hören zu, fragen nach, machen Fehler, lachen, wiederholen, imitieren, erzählen sich Geschichten – alles wild durcheinander. Kein Kind sagt beim Klettern auf einen Baum: „Oh, schade, ich bin leider kein haptischer Typ.“ Es klettert einfach. Lernen passiert da von ganz allein. Und wenn es runterfällt, dann hat es gelernt, wo der Ast zu dünn war. Schmerzhaft, aber einprägsam.

Auch im Erwachsenenalter lernen wir oft am effektivsten dann, wenn es uns wirklich interessiert oder betrifft. Wer zum Beispiel plötzlich selbst kochen muss, merkt sich Gewürze und Garzeiten schneller, als jede Kochsendung es je beibringen könnte. Wer verliebt ist, lernt auf einmal eine neue Sprache. Wer ein Problem lösen muss, wühlt sich durch Bücher, Artikel, Videos – und merkt dabei kaum, wie viel er aufnimmt.

Was wirklich hilft, ist also nicht die Frage „Wie lerne ich am besten nach Typ?“, sondern: „Was motiviert mich? Was brauche ich gerade? Wie kann ich das Gelernte mit etwas verbinden, das für mich Sinn ergibt?“ Die besten Lerner sind nicht die mit dem perfekten Lernstil, sondern die, die sich trauen, Neues auszuprobieren, Fehler zu machen, Fragen zu stellen, dranzubleiben – selbst wenn es mal nicht sofort klappt.


Am meisten lernen die, die begreifen, dass Lernen kein gerader Weg ist, sondern ein lebendiges Abenteuer – mit Umwegen, Entdeckungen, Irrtümern und diesen kleinen, leuchtenden Momenten, in denen plötzlich alles Sinn ergibt. Kinder erleben solche Momente ständig. Wenn sie ein Wort zum ersten Mal richtig aussprechen, ein Rätsel lösen oder ein Problem auf ihre ganz eigene Weise knacken – dann strahlen sie. Und genau dieses Strahlen ist es, was Lernen wirklich ausmacht.

Deshalb sollten wir aufhören, sie in Lernschubladen zu stecken. Die Idee von festen Lerntypen kann ihnen das Gefühl geben, dass sie etwas nicht können – nur weil es nicht auf die vermeintlich „passende“ Weise passiert. Doch Lernen ist keine Einbahnstraße. Es ist bunt, laut, leise, wild, sanft, voller Fragen – und vor allem: offen.

Eltern, Pädagogen und Begleitpersonen können Kindern dabei helfen, diesen offenen Raum zu entdecken. Nicht, indem sie ihnen sagen, wie sie lernen sollen, sondern indem sie ihnen Möglichkeiten zeigen, Dinge ausprobieren lassen, Fehler erlauben, Mut machen. Ob beim Backen, beim Spielen, beim Geschichten-Erfinden oder einfach im Alltag – jedes Erlebnis kann ein Lernmoment sein, wenn man ihn gemeinsam mit einem wachen Herzen erlebt.

Die Kunst liegt darin, Kinder nicht passend zu machen für ein Lernmodell – sondern das Lernen passend zu machen für das Kind. Es geht nicht um Typen. Es geht um Menschen. Um Vertrauen. Um gemeinsame Wege. Und darum, den Glauben ans eigene Können zu stärken, statt ihn in eine Schublade zu sperren.

Also raus aus der Schublade, rein ins Leben. Denn Lernen ist nicht, was du bist. Lernen ist, was du tust. Und das kannst du auf tausend Arten – ganz ohne Etikett.

Von Selma Cakir

Aus einem anderen Blickwinkel

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