Warum greifen wir im Supermarkt zum Bio-Apfel statt zum Erdbeerjoghurt im Sonderangebot? Warum kaufen manche Menschen lieber krumme Möhren vom Wochenmarkt als perfekt aussehende Erdbeeren aus Spanien? Es ist nicht immer der Kopf, der entscheidet. Oft ist es das Herz – oder besser gesagt: ein tief verankerter innerer Kompass, der uns sagt, was richtig ist. Und dieser Kompass richtet sich weniger nach CO₂-Tabellen oder Ernährungspyramiden, sondern vielmehr nach dem, was wir für gerecht, sinnvoll und stimmig halten.

In einer Zeit, in der wir mit Informationen überflutet werden, hat sich etwas Seltsames herausgestellt: Wissen allein verändert kaum etwas. Wir wissen längst, dass Avocados Wasser schlucken wie ein Schwamm, dass Fleischkonsum dem Klima schadet und dass Verpackungsmüll unsere Meere verstopft. Und doch bleibt vieles beim Alten. Der Mensch ist eben kein reines Faktenwesen – er ist ein Wesen voller Werte. Und genau diese Werte scheinen die heimlichen Dirigenten unserer Einkaufszettel zu sein.

Nehmen wir zum Beispiel die Genügsamkeit. Ein altmodisches Wort, das ein bisschen nach Großmutters Vorratskammer klingt. Und doch ist es genau dieses Gefühl – das gute Gefühl, nichts zu verschwenden, aus dem, was da ist, etwas zu machen – das viele Menschen in ihrem Alltag ganz selbstverständlich begleitet. Da wird aus dem harten Brot Knödelteig, aus dem Gemüse im Kühlschrank eine bunte Pfanne, die vielleicht nicht instagramtauglich, aber lecker ist. Nicht, weil ein Ratgeber es empfiehlt, sondern weil es sich einfach richtig anfühlt.

Oder Fairness: Da steht man an der Frischetheke, blickt auf das billige Fleisch im Angebot – und greift stattdessen zum teureren Stück vom Hof nebenan. Nicht, weil ein Schild auf die Haltungsform hinweist, sondern weil man tief drinnen weiß: Ein Tier ist kein Produkt. Und weil man das Gefühl hat, dass faire Behandlung – ob von Mensch oder Tier – nicht verhandelbar ist. Auch wenn das bedeutet, nur einmal die Woche Fleisch zu essen. Vielleicht ist genau das ein stiller, aber starker Akt des Widerstands gegen eine Welt, die oft nur auf den Preis schaut.

Solidarität spielt ebenso mit. Wer sich bewusst für regionale Produkte entscheidet, fördert nicht nur kürzere Transportwege, sondern auch die Bäuerin von nebenan. Man kennt vielleicht sogar ihr Gesicht, ihren Hof, ihre Familie. Und genau das schafft Nähe. Das Gefühl, Teil eines größeren Ganzen zu sein, nicht nur Konsument, sondern Mitgestalter eines Systems, das auf Miteinander statt Ausbeutung baut.

Diese Werte – Genügsamkeit, Fairness, Solidarität – sind keine großen philosophischen Konstrukte. Sie zeigen sich im Kleinen: beim Kochen, beim Einkaufen, beim Teilen von Essensresten mit Nachbarn. In den Momenten, in denen wir entscheiden, ob die Banane mit braunen Punkten noch in den Smoothie darf oder in den Müll wandert. In der Wahl, ob es wirklich die dritte Tiefkühlpizza diese Woche braucht oder doch ein einfaches Linsengericht, das schon unsere Eltern satt und glücklich gemacht hat.

Interessant ist, dass viele Menschen gar nicht über Nachhaltigkeit sprechen, wenn sie solche Entscheidungen treffen. Sie sagen nicht: „Ich reduziere meinen ökologischen Fußabdruck.“ Sie sagen: „Ich hasse es, Essen wegzuschmeißen.“ Oder: „Ich find’s nur fair, dass der Bauer für seine Arbeit ordentlich bezahlt wird.“ Es sind die Alltagsworte, nicht die Fachbegriffe, die zählen. Die leisen Prinzipien, nicht die lauten Parolen.

Das wirft ein neues Licht auf die Frage, wie wir mehr Menschen zu einem nachhaltigen Lebensstil bewegen können. Vielleicht sollten wir nicht immer mit der Moralkeule winken oder mit Daten um uns werfen. Vielleicht geht es darum, an das anzuknüpfen, was längst in uns schlummert. An den Sinn für das Richtige, das Gute, das Verlässliche. An die kleine Stimme, die sagt: „Du brauchst nicht alles – aber das, was du brauchst, kannst du mit Bedacht wählen.“

Und plötzlich wird nachhaltiges Essen nicht zur Bürde, sondern zur Einladung. Zur Einladung, sich selbst wieder zu spüren. Sich daran zu erinnern, dass auch Kochen, Kaufen und Genießen Ausdruck unserer Persönlichkeit sind. Und dass wir mit jedem Bissen nicht nur unseren Hunger stillen, sondern auch eine Haltung zeigen.

In einer Welt voller Unsicherheiten kann genau diese Haltung ein Anker sein. Sie macht aus Essen mehr als Kalorienaufnahme. Sie macht es zu einer stillen, aber kraftvollen Botschaft: Ich bin achtsam. Ich bin verbunden. Ich entscheide mit Sinn.

Und so beginnt nachhaltige Ernährung nicht auf dem Etikett, sondern in uns selbst.

„Nachhaltigkeit beginnt nicht im Kopf, sondern im Herzen – dort, wo Fairness, Genügsamkeit und Mitgefühl unseren Alltag prägen.“ (K.S.C.)

Von Kamuran Cakir

Aus einem anderen Blickwinkel