In den letzten Monaten war mein Leben ein einziges Rauschen: neue Begegnungen, berufliche Projekte, Reisen quer durch Europa. Ich war ständig auf dem Sprung, vernetzte Menschen, erschuf neue Räume. Alles schien im Fluss – doch irgendwo auf diesem Weg verlor ich den Kontakt zu mir selbst. Mein Körper schickte mir Signale: Müdigkeit, Erschöpfung, ein inneres Leeregefühl. Und schließlich ein Gedanke, der sich leise, aber bestimmt in mir breit machte: Ich muss raus. Raus aus der Stadt. Raus aus dem Lärm. Zurück zu mir.
Ich erinnerte mich an den Schwarzwald – einen Ort, von dem ich viel gehört, den ich aber nie wirklich gespürt hatte. Eine Stunde lang las ich über ihn, versank in Geschichten und Legenden. Je mehr ich erfuhr, desto klarer wurde mir: Ich muss dorthin. Wie Luft zum Atmen.
Was mich besonders bewegte, waren die alten Erzählungen über die Vergangenheit dieses Ortes – Hexenverfolgungen, Mythen, Naturgeister. In einer Welt, die so rational, schnell und laut ist, wirkt so etwas fast fremd. Doch im Schwarzwald scheint es noch nachzuklingen – als lebendige Erinnerung, als stille Kraft.
Ich suchte eine Unterkunft. Die erste Bewerbung wurde abgelehnt – im Nachhinein: ein Glücksfall. Denn kurz darauf stieß ich auf ein Hotel mitten im Wald, auf einer Anhöhe gelegen, mit Balkonblick ins Grüne, Schwimmbad, Terrasse. Ich buchte spontan drei Tage.
Schon auf der Anreise spürte ich die Veränderung: Die Luft war anders – rein, duftend, beinahe berauschend. Ich war müde, aber nicht wie sonst. Es war eine tiefe, wohltuende Müdigkeit. Als würde mein Körper endlich loslassen dürfen.
Im Hotel war alles still. An der Rezeption ein junges Mädchen mit einer Rosen-Tätowierung, distanziert, aber freundlich – ganz anders als die Menschen, die ich aus der Stadt kenne. Die meisten Gäste waren älter. Einige fragten mich erstaunt, warum ich als 25-Jährige so einen Rückzug suche. Doch ich spürte: Genau das brauche ich jetzt.
Der Schwarzwald hüllt dich ein. Er zwingt dich nicht, aber er fordert dich heraus. In dieser Stille kannst du nicht anders, als dich selbst zu hören. Und was ich hörte, waren lange unterdrückte Gedanken: Bin ich noch auf dem richtigen Weg? Was macht mich wirklich glücklich?
Ich wanderte durch den Wald – allein, aber nie einsam. Vögel zwitscherten, Blätter raschelten, ein Reh verschwand lautlos im Dickicht. Manchmal war es fast unheimlich. Aber gerade diese Momente, in denen du spürst, wie klein du bist im Vergleich zur Natur – sie sind heilsam. Denn die Natur urteilt nicht. Sie ist einfach da. Und du darfst einfach sein.
Einmal kehrte ich in ein kleines Restaurant am See ein. Die Kellnerin – eine Italienerin mit strahlendem Lächeln – überreichte mir die Speisekarte. Auf dem Umschlag stand ein Satz, der mich bis heute begleitet:
„Die Welt gehört denen, die sie genießen können.“
Ich begegnete während meiner Reise meinen inneren Schatten. Ängsten. Unruhe. Doch ich lief nicht davon. Ich blieb. Ich hörte zu. Und fand Frieden. Nicht den lauten, euphorischen – sondern den stillen, echten. Den, der bleibt.
Die Nächte waren besonders intensiv. Dunkelheit kann Angst machen – aber sie kann auch klären. In der Einsamkeit lernte ich, sie nicht als Bedrohung zu sehen. Sondern als Geschenk. Nur wenn wir allein sind, wirklich allein, erkennen wir, wer wir sind. Nicht im Spiegel der anderen – sondern in der Tiefe unseres eigenen Wesens.
Einsamkeit ist keine Leere. Sie ist Raum. Raum, in dem du wachsen kannst.
Was ich im Schwarzwald gefunden habe, war kein Abenteuer. Es war eine Rückkehr. Zu mir. Zu dem Gefühl von Kindheit, von Freiheit, von Zuhause. Und ich habe gelernt: Zuhause ist kein Ort. Zuhause bist du selbst.
Wenn du spürst, dass etwas fehlt in deinem Leben – vielleicht ist es nicht etwas im Außen. Vielleicht ist es Zeit, den Lärm auszuschalten und dir selbst zu begegnen. Der Schwarzwald war mein Weg dorthin. Deiner kann anders aussehen. Aber eines gilt für uns alle: Manchmal reicht ein Schritt – und alles verändert sich.
