Ein Schulranzen liegt im Flur, das Ladekabel schlängelt sich darüber wie eine träge Schlange, und irgendwo im Kinderzimmer glimmt das Display eines Handys im Dunkel. Dort sitzt ein Vierzehnjähriger, die Kopfhörer halb schief auf den Ohren, Daumen wie von selbst in Bewegung. Nebenan versucht die neunjährige Schwester, ein Puzzle zu legen, während ihre Mutter überlegt, ob sie nicht doch strenger sein sollte mit den Bildschirmzeiten. Es sind kleine Szenen wie diese, die sich tagtäglich in unzähligen Wohnungen abspielen – leise, fast unscheinbar. Und doch steckt darin ein Stück Zukunft.

In den letzten Jahren hat sich die Zeit, die Jugendliche mit digitalen Geräten verbringen, immer weiter ausgedehnt. Zehn Stunden am Tag online zu sein, ist längst keine Ausnahme mehr, sondern Durchschnitt. Man könnte denken, das sei einfach die neue Normalität. Schließlich gehört es zum Alltag, den Stundenplan per App zu prüfen, Hausaufgaben in einer Online-Präsentation zu gestalten und zwischendurch auf einem Spielplatz im Netz herumzutollen. Aber während die Daumen scrollen, passiert auch etwas im Kopf – und das sorgt bei manchen Forschern für Sorgenfalten.

Neue Untersuchungen zeigen, dass eine exzessive Nutzung digitaler Medien Auswirkungen auf Konzentration, Lernverhalten und sogar auf die körperliche Entwicklung hat. Die Augen junger Menschen, noch so formbar, reagieren empfindlich auf ständiges Nahsehen. Die Zahl kurzsichtiger Kinder nimmt weltweit zu. Dass dies kein Zufall ist, bestätigen groß angelegte Messungen, etwa in asiatischen Metropolen, wo Kinder in Zeiten geschlossener Schulen plötzlich rasant an Sehkraft verloren. Der Augapfel wächst mit jeder Stunde, die am Display verbracht wird, ein winziges bisschen mehr – und was einmal gewachsen ist, wächst nicht zurück.

Doch es geht nicht nur ums Sehen. Viele Jugendliche wischen und tippen sich durch ihre Freizeit, als gäbe es nichts anderes. Dabei braucht unser Gehirn Wiederholung, Kontext, Ruhe, um Erlebtes in bleibendes Wissen zu verwandeln. Fehlt diese Wiederholung, versickert das Gelernte schneller, als wir scrollen können. Lehrer berichten längst von Schülern, die zwar flink im Chat schreiben, aber keine Geduld mehr haben, längere Texte zu lesen. An Hochschulen beklagen Dozenten, dass Aufmerksamkeitsspannen schrumpfen wie ein nasser Pullover im Trockner.

Es sind nicht nur graue Zahlen und trockene Diagramme, die alarmieren. Es sind Beobachtungen im echten Leben. Wer einmal erlebt hat, wie ein Kind mitten im Gespräch abschweift, weil das Handy vibrierte, kennt dieses Gefühl: als würde ein unsichtbarer Magnet ziehen. Eltern, die am Küchentisch sitzen und sich fragen, wie viel Vertrauen sie ihrem Kind schenken sollen, kennen das Hin und Her zwischen Verständnis und Sorge.

Gleichzeitig ist es zu einfach, die Geräte zum Feind zu erklären. Digitale Medien bieten unzählige Chancen. Sie verbinden, öffnen Türen zu Wissen, lassen Ideen kreisen wie bunte Seifenblasen im Kopf. Doch die Frage ist: Wer führt wen? Führen die Jugendlichen das Gerät, oder führt das Gerät die Jugendlichen?

Manche Länder ziehen bereits Konsequenzen. In einigen Grundschulen stapeln sich wieder Lesebücher, weil man gemerkt hat, dass digitale Geräte nicht automatisch besseres Lernen bedeuten. Andere Regionen führen klare Regeln ein, verbieten Smartphones in Schulen und lassen sich nicht von glänzenden Versprechen der Tech-Lobby blenden.

Zwischen Eltern, Lehrern, Wissenschaftlern und Kindern entsteht eine neue, stille Debatte. Nicht über Technik als solche, sondern über Maß, über Balance. Es geht darum, das Ruder in der Hand zu behalten. Wer mit offenen Augen beobachtet, erkennt, dass die digitalen Möglichkeiten wie ein riesiges Buffet sind – aber auch dort wird niemand glücklich, der ohne Maß isst.

Vielleicht ist es an der Zeit, dass wir unseren Kindern nicht nur das Scrollen, sondern auch das Innehalten beibringen. Dass wir ihnen zeigen, wie wertvoll ein Spaziergang sein kann, bei dem man keinen Bildschirm vor der Nase hat. Dass wir ihnen Raum geben für Langeweile, damit daraus Kreativität wachsen kann.

Zwischen Wischen und Wirklichkeit liegt ein Feld, das wir gestalten können. Noch ist es nicht zu spät, den Kindern mehr zu geben als Displays: Aufmerksamkeit, Zeit, Worte, die bleiben. Denn am Ende erinnern wir uns selten an die Stunden vor einem Bildschirm – aber sehr wohl an die Momente, in denen uns jemand wirklich zugehört hat.

Von Selma Cakir

Aus einem anderen Blickwinkel

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