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Es gibt Nächte, die schleichen sich an wie eine Katze auf leisen Pfoten. Man legt sich ins Bett, bereit für den wohlverdienten Schlaf, schaltet das Licht aus – und dann beginnt das Gedankenkarussell. Die Decke fühlt sich plötzlich zu schwer an, das Kissen zu laut, der Atem zu auffällig. Die Stunden kriechen dahin, während der Wecker schon beginnt, leise zu kichern. Und irgendwo zwischen zwei Uhr und dem dämlichen Vogel, der viel zu früh sein Lied anstimmt, fragt man sich: Was zur Hölle kann ich noch tun, damit ich endlich schlafe?

Die Antwort ist weder eine Tablette noch ein magischer Trick, sondern – so banal das klingt – Bewegung. Nicht das hektische Rennen durch den Alltag, sondern bewusste, ruhige, achtsame oder rhythmische Bewegung. Keine neue Weisheit, mag man denken. Doch neu ist, dass sich die Wissenschaft zunehmend der uralten Erkenntnis annähert: Der Körper muss oft erst in Bewegung geraten, damit der Geist zur Ruhe kommt.

Da ist zum Beispiel Yoga. Nicht das Instagram-Yoga mit Sonnenuntergang und Spagat, sondern das echte, atmende, dehnende, langsam fließende Yoga, das sich anfühlt wie eine liebevolle Umarmung von innen. Menschen, die regelmäßig üben, berichten nicht nur von mehr Flexibilität, sondern auch von einem Schlaf, der nicht mehr ausweicht, sondern sich fast wie von selbst einstellt. Eine gute Yogasitzung ist wie ein Spaziergang durch den eigenen Körper – mit dem Effekt, dass man am Ende genau weiß, wo man sich selbst zur Ruhe bringen kann.

Dann gibt es Tai Chi, dieses tänzelnde Schattenboxen aus Fernost. Wer einmal dabei zugeschaut hat, denkt vielleicht an einen Zeitlupenfilm in Schwarzweiß. Doch der Schein trügt. Tai Chi ist so viel mehr als ein hübscher Bewegungsablauf. Es ist ein inneres Sortieren, ein Streicheln für das Nervensystem, ein geduldiges Umarmen des eigenen Unausgeglichenen. Tai Chi ist sozusagen eine stille Rebellion. Und es funktioniert. Wer sich darauf einlässt, darf erleben, wie Gedanken langsamer werden, der Puls sinkt und der Schlaf sich wieder traut, näherzukommen.

Doch auch wer mit spirituellen Praktiken nichts anfangen kann, muss nicht verzweifeln. Es gibt eine ebenso schlichte wie kraftvolle Lösung: Gehen. Nicht hasten, nicht hetzen, einfach nur gehen. Am besten draußen, mit den Geräuschen der Natur, dem Wind im Gesicht oder den Lichtern der Stadt. Wer regelmäßig abends eine halbe Stunde spaziert, sendet dem Körper ein stilles, aber deutliches Signal: „Der Tag ist vorbei. Jetzt darfst du loslassen.“ Und manchmal reicht genau das – ein Gehen, das den Tag aus den Gliedern schüttelt –, um besser einzuschlafen.

Und Joggen? Ja, auch das. Nicht unbedingt der Wettlauf gegen sich selbst, sondern das entspannte, rhythmische Laufen, bei dem der Atem den Takt vorgibt und der Geist endlich keine Lust mehr hat, gegen sich selbst zu denken. Es ist erstaunlich, wie viele Grübeleien sich in Luft auflösen, wenn der Körper einmal ins Rollen gekommen ist. Joggen macht müde – aber nicht erschöpft, sondern angenehm leer. Wie ein Buch, das am Ende des Tages zugeklappt wird, ohne dass ein Kapitel fehlt.

Und dann gibt es da noch die Kognitive Verhaltenstherapie – KVT für Eingeweihte. Eine Therapieform, die nicht den Schlaf selbst behandelt, sondern unsere Beziehung dazu. Wer nachts nicht schlafen kann, kämpft oft gegen die eigene Angst, nicht zu schlafen. Ein absurder Teufelskreis. KVT zeigt, wie man diesen Kreislauf durchbricht. Wie man Gedanken wie „Ich MUSS jetzt schlafen“ in etwas verwandelt, das nicht drückt, sondern trägt. Nicht jeder braucht eine Therapie – aber viele profitieren von einer Veränderung der inneren Dialoge.

All diese Wege führen zum selben Ziel: zur Rückeroberung des Schlafs. Nicht durch Zwang, nicht durch chemische Keulen, sondern durch ein neues Verhältnis zum eigenen Körper, zur eigenen Wachheit und zu sich selbst. Der moderne Mensch hat verlernt, sich in die Nacht fallen zu lassen. Aber er kann es wieder lernen – Schritt für Schritt, Atemzug für Atemzug, Bewegung für Bewegung.

Vielleicht geht es beim Schlaf gar nicht darum, „auszuschalten“. Vielleicht ist er vielmehr ein Zustand, den wir uns verdienen. Nicht mit Leistung, sondern mit Hingabe. Und manchmal beginnt alles mit dem Mut, sich wieder zu spüren. Ob auf der Matte, im Park oder einfach nur beim Innehalten auf dem Nachhauseweg.

Denn der Schlaf, so scheint es, liebt Menschen, die ihm nicht hinterherrennen, sondern ihm einen Platz bereiten. Und manchmal ist dieser Platz nichts weiter als ein gelöster Körper, ein ruhiger Atem und die stille Einsicht: Heute war genug. Jetzt darf ich ruhen.

Von Kamuran Cakir

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