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Es gibt Freundschaften, die leuchten wie Laternen in dunklen Nächten. Man glaubt, man habe sie für immer gefunden. Menschen, bei denen das Schweigen nicht unangenehm ist, sondern ein stilles Einvernehmen. Menschen, mit denen das Leben leichter, bunter, wärmer wirkt. Doch was, wenn aus Licht Schatten wird? Wenn genau diese Nähe, die einst Geborgenheit schenkte, plötzlich drückt, fordert, vereinnahmt? Und wenn das, was einst „beste Freunde für immer“ bedeutete, nun eher ein „nicht ohne dich, aber schon lange nicht mehr mit dir“ geworden ist?

Freundschaften wachsen. Und manchmal wachsen sie auseinander. Oft geschieht das leise, ohne Drama, ohne Knall. Aber es gibt auch jene Verbindungen, die wie ein Kaugummi an der Seele kleben. Zäh, widerspenstig, schwer zu lösen. Nicht aus Bosheit – sondern weil sie einst so viel bedeutet haben. Weil sie verwoben sind mit Erinnerungen, Lachen, Tränen, ersten Nächten durchgequatscht auf einer Parkbank oder panischen Anrufen um halb drei morgens. Wie soll man da gehen?

Manchmal bleibt man in einer Freundschaft, obwohl sie längst zu viel geworden ist. Weil man nicht der Mensch sein will, der einfach abbricht. Weil man sich verantwortlich fühlt. Weil die gemeinsame Geschichte wie ein altes Fotoalbum ist, das man nicht wegwerfen mag, obwohl es längst verstaubt ist.

Psychologen sprechen in solchen Fällen manchmal von emotionaler Abhängigkeit – einem Zustand, der paradoxerweise in Freundschaften seltener thematisiert wird als in Liebesbeziehungen. Dabei ähneln sich die Dynamiken oft: Eine Person gibt, die andere nimmt. Eine Person lenkt, die andere passt sich an. Und beide verlieren irgendwann das Gleichgewicht. Der feine Unterschied liegt darin, dass man Freundschaften gesellschaftlich nicht mit klaren Ausstiegskarten versieht. Schluss machen? Das macht man mit Partnern. Doch mit Freunden? Da ist es komplizierter. Da mischt sich Schuld in die Entscheidung, Abgrenzung in die Traurigkeit, Angst in die neue Freiheit.

Viele junge Erwachsene erleben genau das in einer Lebensphase, in der sie sich selbst gerade neu definieren. Studium, Job, neue Stadt, neue Werte. Und mittendrin: alte Freundschaften, die nicht mehr passen wie die Lieblingsjeans aus der Teenagerzeit. Man versucht es weiter, zwängt sich rein, reißt an den Nähten – und wundert sich, warum es irgendwann weh tut.

Der Abschied von einer solchen Freundschaft fühlt sich an wie ein innerer Verrat. Man fragt sich: War ich ein schlechter Mensch? Bin ich zu empfindlich? Und doch zeigt die Erfahrung vieler: Wenn eine Freundschaft zur Einbahnstraße wird, wenn das Miteinander mehr Kraft kostet als schenkt, wenn man sich nach Treffen erschöpfter fühlt als zuvor – dann ist es Zeit, ehrlich zu sich zu sein.

Es braucht Mut, sich zu lösen. Nicht weil man dem anderen nicht mehr mag, sondern weil man sich selbst nicht länger verlieren möchte. Der Weg dahin ist selten gerade. Da sind Zweifel, Tränen, vielleicht ein letzter Versuch, ein Gespräch, ein Brief, der nie abgeschickt wird. Und manchmal – nur manchmal – ein lautes Ende. Viel häufiger aber ein stilles Verblassen, bei dem keiner so genau sagen kann, wann es begann.

Und doch ist genau dieser Abschied ein stiller Akt der Selbstachtung. Ein leises „Ich will wieder atmen“. Wer sich aus einer belastenden Freundschaft löst, öffnet Raum – für neue Begegnungen, für mehr Klarheit, für ein tieferes Verständnis der eigenen Grenzen. Für ein Ja zu sich selbst.

Es heißt, Freundschaften sollen leicht sein. Nicht immer. Aber oft genug. Sie dürfen herausfordern, spiegeln, begleiten – aber sie sollten nicht an uns ziehen, bis wir uns selbst nicht mehr wiedererkennen.

Es gibt keine goldene Regel für den perfekten Freundeskreis. Doch vielleicht liegt die Antwort darin, dass Freundschaft dann echt ist, wenn man sich gegenseitig wachsen lässt – und loslassen kann, wenn das Wachstum in entgegengesetzte Richtungen geht. Und vielleicht – nur vielleicht – ist das kein Scheitern, sondern ein stilles Reifen.

Denn wer sich einmal befreit hat, spürt: Auch die eigene Seele kann wieder Freundschaft schließen – mit sich selbst. Und das ist ein Anfang, kein Ende.

Von Esra Toca

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