Es gibt Tage, da liegt etwas in der Luft, das schwerer wiegt als jedes gesprochene Wort. Die WhatsApp-Gruppen blinken, das Lachen anderer hallt durch die Social-Media-Timeline, und irgendwo mittendrin sitzt jemand mit dem Gefühl, unsichtbar zu sein. Umgeben von Kontakten, aber ohne eine echte Verbindung. Es sind zwar Freunde da und doch irgendwie nicht. Wie kann das denn sein?

Freundschaften gelten als Bollwerk gegen das Alleinsein. Als ein soziales Netz, das uns auffängt, wenn das Leben mal wieder seine kalten Seiten zeigt. Doch was, wenn sich dieses Netz nur wie ein loses Geflecht aus Höflichkeitsfloskeln anfühlt? Was wenn man fällt und niemand merkt es?

Die moderne Einsamkeit ist tatsächlich ein Chamäleon. Sie versteckt sich hinter vermeintlich vollen Terminkalendern, gemeinsamen Selfies und Geburtstagsgrüßen mit Herzchen-Emojis. Sie kriecht durch die Ritzen von Gesprächen, in denen man zwar antwortet, aber nie wirklich gefragt wird. Sie lebt in Treffen, bei denen alle anwesend sind – außer man selbst, im innersten Gefühl.

Das, was gute Freunde ausmacht, scheint für viele glasklar: Dasein. Zuhören. Mitfühlen. Doch während einige ihre Erlebnisse in flauschige Anekdoten packen, bleiben andere zurück mit einem Kloß im Hals und der Frage: Bin ich jetzt etwa zu empfindlich oder ist das hier wirklich Freundschaft?

Viele Menschen tragen heute eine Art soziale Müdigkeit in sich. Wir sind zwar erreichbar, aber nicht wirklich verfügbar. Präsent, aber selten tatsächlich geistig anwesend. Denn oft fehlt uns die Zeit oder das echte Interesse für das, was hinter dem Profilbild unserer Freunde liegt.

Die Psychologie spricht hierbei von „emotionaler Einsamkeit“, ein Zustand, bei dem jemand zwar unter Menschen ist, aber keinen hat, der ihn wirklich versteht. Und das betrifft mehr Menschen, als man denkt oder es überhaupt wahr haben möchte. Studien zeigen allerdings, dass selbst enge soziale Kreise einem nicht vor dem Gefühl schützen können, innerlich allein zu sein. Der Mangel liegt letztlich oftmals nicht an Kontakten, sondern an echter Resonanz, dem Gefühl, gehört, gesehen und gespürt zu werden.

Dabei braucht es eigentlich nicht viel. Manchmal reicht eine aufrichtige Frage, ein echtes „Wie geht’s dir wirklich?“. Doch oft verwechseln wir Nähe mit Routine oder Vertrautheit mit Bequemlichkeit. Und so passiert es, dass jemand mit Fieber auf dem Sofa liegt, während der „beste Freund“ lieber Netflix mit anderen schaut und sich dafür mit einem belanglosen Smiley entschuldigt.

Dennoch gibt es Hoffnung, denn es gibt sie, diese kleinen Momente, die mehr sagen als jedes große Versprechen. Der Anruf, wenn es einem schlecht geht, nicht erst nach zwei Wochen. Das Gespräch, bei dem man nicht nur das Echo der Sorgen des anderen ist, sondern auch einmal selbst laut sein darf. Aber ein echtes Miteinander ist leider viel zu selten geworden, gerade in Zeiten, in denen jeder am liebsten nur mit sich selbst beschäftigt ist. Oder sich beschäftigt hält, um nicht fühlen zu müssen, wie leer es manchmal um ihn herum doch ist.

Natürlich wäre es jetzt unfair zu sagen, dass generell alle Freundschaften so verlaufen. Schließlich gibt es auch die, die einem wie Wurzeln Halt geben. Und es gibt jene, die sogar nachts um drei ans Telefon gehen würden. Ebenso gibt es solche, die nicht vergessen, dass man existiert, auch wenn es gerade nichts zu lachen gibt. Doch oftmals sind diese Freundschaften leise und selten. Und manchmal eben auch weit weg.

Der Rest? Der ist oft nur eine Zweckgemeinschaft, eine nostalgische Erinnerung oder ein höflicher Kontakt. Man trifft sich eben nur, weil man sich kennt, nicht weil man sich wirklich vermisst. Und je länger das so geht, desto mehr verblasst das Gefühl, wirklich jemandem nah zu sein.

Wer so etwas erlebt, zweifelt an sich. Bin ich zu bedürftig? Erwarte ich zu viel? Doch die Frage sollte in diesen Augenblicken vielleicht eine andere sein: Wann ist es okay, sich zu distanzieren von Menschen, die nur dann auftauchen, wenn sie sich selbst verlieren? Wann darf man sich selbst schützen vor Freundschaften, die mehr nehmen als geben?

Vielleicht ist das größte Missverständnis unserer Zeit, dass Freundschaft immer nur schön und leicht sein muss. Denn wahre Nähe entsteht nicht in Perfektion, sondern in Echtheit. In Gesprächen, bei denen auch mal Tränen fließen dürfen. In Momenten, in denen man nicht stark sein muss. In der absoluten Verlässlichkeit für einander, die keine Kalendereinladung braucht.

Einsamkeit unter Freunden ist also kein Zeichen von Schwäche. Es ist ein Signal. Ein Weckruf an uns selbst: zu prüfen, zu reflektieren und sich zu sortieren, um schließlich den Mut zu haben, neue Räume zu schaffen für echte Begegnungen, für verbindliche Nähen. Vielleicht bedeutet Freundschaft heute aber vor allem, sich zu trauen, nicht mehr alles mitzumachen, was sich nach Nähe anfühlt, aber am Ende doch nur Leere hinterlässt.

Denn man darf immer noch selbst wählen, wem man sein Herz schenkt. Und manchmal beginnt echte Freundschaft genau in dem Moment, in dem man sich selbst nicht länger übergeht.

Von Esra Toca

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