Manchmal spürt man es, bevor man es versteht. Dieses leichte Ziehen in der Brust, das Herz, das schneller schlägt, als hätte es plötzlich einen Grund zur Eile, und Gedanken, die wie lose Blätter im Wind umherwirbeln. Solche Momente kommen oft unvermittelt, plötzlich in der Schlange an der Supermarktkasse, oder wenn der Chef einen bittet, „mal eben“ hereinzukommen, oder aber auch wenn das Handy eine Nachricht anzeigt, die man lieber nicht lesen möchte. Der Körper schaltet dann auf Alarm, als wäre eine unsichtbare Gefahr im Raum, und doch ist es oft nur unser eigenes Nervensystem, das überreagiert.
Gerade hier beginnt etwas, das fast zu unscheinbar klingt, um bedeutsam zu sein. Das bewusste, langsame Atmen, etwas das keine komplizierte Technik, keinen speziellen Ort und auch keine Hilfsmittel benötigt. Es ist einfach nur ein Atemzug, der länger dauert, als man es gewohnt ist, und ein Ausatmen, das den Körper daran erinnert, dass es sicher ist, vier Sekunden ein, sechs Sekunden aus. Und dabei nicht wie ein starrer Befehl, sondern wie ein inneres Wiegen, bis der Körper seinen eigenen ruhigen Rhythmus wiederfindet.
Die Wirkung, die im Inneren entsteht, hat inzwischen auch die Wissenschaft fest im Blick. Neuere Studien zeigen, dass sich im mittleren Stirnbereich unseres Gehirns, eine Region, die entscheidend daran beteiligt ist, wie wir Emotionen regulieren, etwas verändert, sobald wir in diesem gleichmäßigen Tempo atmen. Diese Region wird aktiver, übernimmt das Steuer, während die überreizten Teile des Nervensystems herunterfahren. Es ist, als würde man das innere Kontrollzentrum aus dem Schatten ins Licht rufen. Interessant ist, dass dieser Effekt nicht sofort verschwindet. Selbst wenn wir kurz darauf mit Bildern oder Gedanken konfrontiert werden, die uns normalerweise in Aufruhr versetzen würden, bleibt ein Teil dieser Ruhe erhalten.
Auch der Körper zeigt messbar, dass er reagiert. Die Herzfrequenzvariabilität, ein Indikator für die Anpassungsfähigkeit unseres Nervensystems, verändert sich. Sie zeigt an, wie gut wir zwischen Anspannung und Entspannung wechseln können. Diese ist eine Fähigkeit, die in der Psychologie als Grundpfeiler von Resilienz gilt. Wer also in der Lage ist, diesen Schalter schneller umzulegen, erholt sich nicht nur schneller von Stress, sondern beugt auch langfristige Erschöpfung vor.
Was diese einfache Atemtechnik so besonders macht, ist ihre ständige Verfügbarkeit. Sie braucht keine ruhige Yogastunde und keinen geschlossenen Raum. Sie kann in der U-Bahn genauso wirken wie vor einem Bewerbungsgespräch oder beim Warten in einer Notaufnahme. Niemand muss sehen, dass man gerade sein inneres Gleichgewicht sucht. Das ist einfach der ideale und stille Schutz, der quasi in die Tasche passt.
Mit der Zeit bemerken schließlich viele, die diese Atemweise ausüben, die damit einhergehenden Veränderungen, die weit über den Moment hinausgehen. Es fällt ihnen leichter, in Diskussionen nicht sofort zu reagieren, sondern erst zu fühlen, was man eigentlich sagen möchte. Auch kommen ihre Entscheidungen dadurch aus einem ruhigeren Ort, statt aus einer hastigen Abwehrhaltung. Manchmal verändert sich dadurch sogar die Wahrnehmung. Geräusche klingen klarer, Farben scheinen tiefer, weil der innere Lärm leiser geworden ist.
Natürlich ist langsames Atmen kein Allheilmittel. Es kann weder die Probleme aus der Welt schaffen noch Konflikte lösen, die mehr erfordern als Geduld. Aber es kann ein Werkzeug sein, um in der Hitze des Moments einen klaren Kopf zu behalten. Es ist wie ein stiller Satz, den man sich selbst zuflüstert, ohne Worte, nur durch Rhythmus: Ich bin hier. Ich atme. Ich bleibe.
Und möglicherweise liegt genau darin die Kraft. Nicht darin, die Geschwindigkeit um sich herum zu ändern, sondern den eigenen Takt zu finden. So kann dieser eine lange, bewusste Atemzug der Moment sein, in dem wir zurückfinden zu uns selbst und damit auch schon zu einer Gelassenheit, die nicht so leicht zu erschüttern ist.
