Einige Menschen stürzen sich mit leuchtenden Augen ins Abenteuer, andere wägen ab, drehen noch einmal gedanklich jede Münze um, bevor sie handeln. Es ist leicht zu glauben, dass diese Unterschiede einfach eine Frage des Charakters sind. Doch ein genauerer Blick zeigt, dass viel mehr dahinter steckt. Unsere Bereitschaft, Risiken einzugehen, ist wie ein feines Gewebe, das sich aus den Erfahrungen unserer Kindheit spinnt. Sie hinterlässt Muster, die wir oft erst Jahre später erkennen.

Wer in einer Umgebung aufwuchs, in der immer jemand da war, der zuhörte, half und auffing, der hat gelernt, dass Vertrauen trägt. Gleichzeitig konnte es sein, dass Geld oft knapp war und man Wünsche nicht einfach erfüllen konnte. Andere wiederum erlebten den umgekehrten Fall. Das Konto der Eltern war gefüllt, doch im Alltag fehlte manchmal die Wärme, die Nähe, das Gefühl, in einem festen Netz gehalten zu werden. Auf den ersten Blick sind dies völlig unterschiedliche Geschichten. Doch wenn man genauer hinsieht, führt beides zu ähnlichen Verhaltensweisen. Beide Gruppen neigen dazu, Risiken einzugehen, allerdings aus unterschiedlichen inneren Beweggründen heraus.

Die Forschung zeigt inzwischen, dass unser Gehirn auf diese frühen Erfahrungen nicht einfach neutral reagiert, sondern sehr genau speichert, welche Strategie damals am meisten Sicherheit versprach. Wer früh gelernt hat, dass Nähe und Unterstützung verlässlich sind, setzt beim Risiko vielleicht stärker auf Intuition und soziale Orientierung. Wer dagegen den Wert von Geld als Schutzschild erfahren hat, sucht Sicherheit eher über Berechnung und Kontrolle. Beide gelangen am Ende vielleicht zum selben Handeln, aber die Wege dorthin unterscheiden sich.

Im Alltag spüren wir diese Prägungen, ohne sie zu benennen. Die eine Freundin, die beim Urlaub sofort das günstigste Flugticket bucht, während die andere stundenlang Bewertungen liest, bis sie den „richtigen“ Klick wagt. Der Kollege, der in Meetings sofort seine Idee auf den Tisch legt, auch wenn sie unausgereift ist, während eine andere Kollegin lieber abwartet, bis sie Argumente doppelt abgesichert hat. Was hier wirkt, sind keine spontanen Launen, sondern Muster, die tief aus der Kindheit in die Gegenwart reichen.

Spannend ist, dass es im Gehirn bestimmte Regionen gibt, die wie Bremsen oder Verstärker arbeiten, wenn wir mit Risiko konfrontiert sind. Manche Menschen brauchen mehr innere Wachsamkeit, andere weniger, um eine Entscheidung zu treffen. Die frühen sozialen und wirtschaftlichen Erfahrungen haben also nicht nur unsere Persönlichkeit geformt, sondern auch buchstäblich die Art und Weise, wie unser Gehirn Entscheidungen verarbeitet.

Für jeden von uns steckt darin eine Botschaft. Wir können uns fragen, woher unser Umgang mit Risiko wirklich stammt. Handeln wir vorsichtig, weil wir innerlich gelernt haben, dass Ressourcen knapp sind und man sie nicht leichtfertig verspielt. Oder greifen wir beherzt zu, weil wir auf Menschen vertrauen, die uns auch im Fall des Scheiterns auffangen. Beides sind Strategien, keine Schwächen und keine Tugenden, sondern Anpassungen an das, was unser Leben uns zu Beginn gezeigt hat.

Vielleicht hilft dieser Gedanke, im eigenen Alltag milder zu werden. Statt sich zu wundern, warum man selbst immer zögert, während andere schon längst losgelaufen sind, könnte man verstehen, dass es zwei unterschiedliche Wege sind, ein ähnliches Ziel zu erreichen. Und vielleicht kann man daraus sogar einen Gewinn ziehen, indem man die eigenen Muster erkennt und sie bewusst erweitert. Wer vorsichtig ist, darf sich ab und zu erlauben, einen Sprung ins Unbekannte zu wagen. Wer risikofreudig ist, könnte lernen, innezuhalten, ohne den Mut zu verlieren.

Am Ende zeigt die Forschung nicht nur, wie unterschiedlich Menschen geprägt sind, sondern auch, dass kein Weg besser oder schlechter ist. Jeder trägt ein unsichtbares Gepäck, das uns leitet. Indem wir es kennen, können wir nicht nur uns selbst besser verstehen, sondern auch gelassener auf andere blicken. Denn hinter jedem Risiko, das jemand eingeht oder vermeidet, steckt eine ganze Kindheit, die ihm beigebracht hat, wie man durchs Leben geht.


Von Kamuran Cakir

Aus einem anderen Blickwinkel