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Einsamkeit hat keinen festen Platz im Kalender, und doch meldet sie sich auffallend zuverlässig dann, wenn andere von Nähe sprechen. Besonders an Feiertagen liegt sie wie ein feiner Nebel über den Straßen. Lichterketten hängen in den Fenstern, Stimmen klingen fröhlicher, Verabredungen wirken verbindlicher und genau darin liegt der Kontrast, der die Einsamkeit so scharf hervortreten lässt. Während die Welt nach außen Wärme inszeniert, wird innen spürbar, wo sie fehlt.

Einsamkeit in der heutigen Gesellschaft ist selten das Ergebnis völliger Isolation. Sie entsteht mitten im Leben, zwischen Menschen, Terminen und Verpflichtungen. Viele sind umgeben von Kontakten und fühlen sich dennoch innerlich unangesprochen. Es ist diese besondere Form des Alleinseins, die nicht daraus entsteht, dass niemand da wäre, sondern dass niemand wirklich gemeint ist. Man ist eingeladen, aber nicht gemeint. Man hört zu, aber wird nicht gehört. Man funktioniert, aber wird nicht gesehen.

Feiertage wirken dabei wie ein Vergrößerungsglas. Sie unterbrechen den Alltag, und genau das macht sie so anspruchsvoll. Routinen, die sonst tragen, fallen weg. Arbeit, Termine, kleine Ablenkungen, all das, was Einsamkeit im Alltag oft überdeckt, tritt zurück. Übrig bleibt nur noch die Zeit. Und die Zeit stellt nunmal ihre Fragen. Sie fragt nicht laut, aber eindringlich danach, mit wem man etwas teilt. Wer denkt an einen, wenn nichts organisiert ist? Wo gehört man hin, wenn kein Plan vorliegt?

Unsere Gesellschaft ist gut darin geworden, Nähe zu organisieren, aber schlecht darin, sie wirklich zuzulassen. Beziehungen werden effizient geführt, Gespräche geplant und  Treffen immer wieder verschoben. Emotionales Zeigen gilt als etwas, das man dosiert, möglichst kontrolliert und das am besten in passenden Momenten. Viele Menschen haben gelernt, ihre Bedürfnisse klein zu halten, um niemanden zu belasten. Gerade an Feiertagen rächt sich diese Übung. Denn Nähe lässt sich nicht auf Kommando herstellen. Sie lebt von Vertrautheit, von Gewohnheit, von dem unausgesprochenen Wissen, dass man willkommen ist, auch dann, wenn man nichts beitragen muss.

Einsamkeit ist deshalb kein Zeichen persönlicher Schwäche. Sie ist oft die logische Folge einer Gesellschaft, in der Selbstständigkeit, Stärke und Unabhängigkeit hoch bewertet werden, während Abhängigkeit, Bedürftigkeit und Verletzlichkeit leise an den Rand rutschen. Wer gelernt hat, alles allein zu tragen, merkt oft erst in den stilleren Zeiten, wie schwer dieses Alleinsein tatsächlich wiegt. Feiertage legen diese Last frei. Sie nehmen dem Funktionieren die Bühne und lassen das Gefühl zurück, das sonst zwischen Terminen verschwindet.

Besonders schwer wird Einsamkeit, wenn sie mit dem Eindruck einhergeht, dass alle anderen gerade verbunden sind. Bilder, Erzählungen und Erwartungen erzeugen das Gefühl, man sei der einzige Mensch, dem etwas fehlt. Doch dieser Eindruck täuscht. Viele sitzen an Tischen und fühlen sich dennoch fremd. Viele lachen und spüren gleichzeitig eine Distanz, die sich nicht erklären lässt. Einsamkeit ist nicht immer Abwesenheit von Menschen, sondern Abwesenheit von Resonanz.

In der heutigen Gesellschaft fehlt es oft an Räumen, in denen Einsamkeit ausgesprochen werden darf, ohne sofort bewertet zu werden. Wer sagt „Ich fühle mich einsam“, fürchtet schnell Mitleid, Ratschläge oder das stille Unbehagen der anderen. Also schweigt man lieber. Und dieses Schweigen verstärkt das Gefühl, allein zu sein. Gerade an Feiertagen wird dieses Schweigen lauter. Man möchte die Stimmung nicht stören, nicht undankbar wirken, nicht aus der Reihe fallen. Also zieht man sich innerlich zurück, während man äußerlich teilnimmt.

Dabei wäre gerade jetzt etwas anderes nötig, und zwar weniger Inszenierung, dafür mehr Echtheit. Einsamkeit verschwindet nicht durch perfekte Feste, sondern durch echte Begegnung, durch das Gefühl, nicht funktionieren zu müssen und durch Gespräche, die nicht unterhalten, sondern verbinden oder eben durch das stille Wissen, dass man bleiben darf, auch mit seinen Lücken.

Vielleicht liegt die Herausforderung unserer Zeit nur darin, Einsamkeit nicht länger als individuelles Problem zu betrachten, sondern als ein kollektives Signal. Denn die Einsamkeit zeigt uns, wo Beziehungen zu schmal geworden sind, wo Nähe zu selten ungeplant stattfindet und auch wo Gemeinschaft zu sehr an Bedingungen geknüpft ist. Feiertage machen das sichtbar, weil sie das Normale aussetzen und das Wesentliche freilegen.

Einsamkeit an diesen Tagen ist kein persönliches Scheitern. Sie ist oft ein Hinweis darauf, dass der Wunsch nach Verbindung lebendig ist. Und dieser Wunsch ist nichts, wofür man sich schämen müsste. Im Gegenteil  erinnert er daran, dass wir soziale Wesen sind, die nicht nur Austausch brauchen, sondern auch Zugehörigkeit. Sie braucht  auch nicht nur den Kontakt, sondern ebenso die Bedeutung.

Vielleicht beginnt Veränderung genau dort, wo man aufhört, Einsamkeit zu überdecken, und anfängt, ihr zuzuhören. Nicht um sie zu dramatisieren, sondern um ernst zu nehmen, was sie sagt, dass Nähe letztlich nicht selbstverständlich ist,  dass Gemeinschaft Pflege braucht, und dass gerade in den stillen Tagen nicht mehr Lärm hilft, sondern mehr Wahrhaftigkeit.

Von Kamuran Cakir

Aus einem anderen Blickwinkel