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Im Kühlschrank brennt das Licht nur solange die Tür offensteht. Ein Kind fragt, ob es drinnen weiterleuchtet, wenn keiner hinsieht. Die Frage klingt verspielt und doch trifft sie das Herz der modernen Physik. Seit einem Jahrhundert lernt die Wissenschaft die Welt zu beschreiben und staunt darüber, wie sehr diese Welt davon abhängt, was wir von ihr fragen. Das klingt nach Zauberei und ist doch nur nüchterne Erfahrung mit sehr kleinen Dingen. Ein Elektron hält sich nicht an unsere Alltagssprache. Es rollt nicht wie eine Murmel durch ein winziges Rohr. Es verhält sich wie eine Welle die mehrere Wege zugleich auslotet und erst beim Nachsehen festlegt, welches Ergebnis wir bekommen. Viele Menschen stutzen an dieser Stelle und denken an einen Münzwurf. Der Unterschied ist leiser und tiefer. Bei der Münze ist der Zufall eine Abkürzung für Unwissen. Wer jedes Molekül der Luft und jede winzige Drehung der Finger kennen würde, könnte den Wurf berechnen. Im Quantenreich ist das anders. Dort ist Unschärfe kein Mangel an Daten, sondern Teil des Stoffes, aus dem Ereignisse gemacht sind.

Physikerinnen und Physiker haben daraus sehr verschiedene Deutungen entwickelt. Eine Position sagt, wir sollten unsere Fragen bescheiden halten. Die Welt liefert Messwerte und damit hat es sich. Was das Ding an sich abseits der Messung sei, bleibt ungesagt. Andere nehmen den mathematischen Ernst wörtlich und sagen jede Möglichkeit verwirklicht sich, nur eben nicht in einer einzigen Bühne. Wieder andere lesen die Theorie als Buch über Wissen statt über Dinge. Dann beschreibt die Wellenfunktion nicht, was ist, sondern was wir über das Nächste sagen können. Keine dieser Sichtweisen hat die anderen überholt. Große Umfragen zeigen seit Jahren ein buntes Feld. Man ist sich einig, dass die Theorie funktioniert und uneinig ist, worüber sie eigentlich spricht. Das ist wissenschaftlich unangenehm und zugleich fruchtbar. Denn Fragen, die an die Nerven gehen, bringen oft die besten Ideen hervor.

Während die Philosophie ringt, baut die Technik weiter. Laser kassieren Quanten in ordentlich getaktete Lichtpakete und schneiden Mikrostrukturen für die Elektronik. Magnetresonanztomografen lesen winzige Energieabstände in unseren Körpern wie leise Musikzeilen. In Laboren fliegen immer größere Moleküle durch Interferometer und zeigen wellenartige Muster, obwohl sie schon fast wie Staubkörnchen wirken. Verschränkte Teilchen bleiben miteinander verbunden, auch wenn man sie trennt. Nicht in dem Sinn, dass ein geheimes Kabel die Information transportiert. Es ist eher so, als ob die Welt zwei Ergebnisse nur gemeinsam zu Ende erzählt. Solche Befunde sind hart erarbeitet und trotz allem bescheiden. Sie sagen was passieren wird, wenn wir etwas auf eine bestimmte Weise messen. Sie sagen nicht endgültig, was die Dinge ohne uns sind. Manche Forscherinnen sprechen deshalb von der Möglichkeit, dass Raum und Zeit nicht das Fundament sind. Vielleicht entstehen sie aus tieferen Beziehungsnetzen. Das ist noch offen. Aber es zeigt, wie mutig die Fragen geworden sind.

Warum soll das jemanden jucken, der morgens das Handy vom Ladekabel zieht und zur Bahn eilt. Weil die Quantenlehre eine Haltung trainiert, die im Alltag erstaunlich heilsam ist. Sie sagt nicht, alles ist möglich und jede Wahrheit ist privat. Sie sagt eher, erkenne die Art deiner Frage. Wer nur Ergebnisse sammeln will, bekommt Zahlen. Wer Ursachen sucht, muss definieren, was Ursache heißt. Wir lieben einfache Bilder vom Leben. Heute Erfolg morgen Misserfolg. Richtig oder falsch. Doch die meisten Tage sind Überlagerungen. Freude mit einer feinen Spur Müdigkeit. Zuversicht mit einem Hauch Zweifel. Wir messen uns selbst ständig und wundern uns, dass unterschiedliche Messweisen unterschiedliche Antworten liefern. Ein Gespräch in Ruhe bringt eine andere Person hervor als eine Diskussion unter Zeitdruck. Ein Kind, das beobachtet wird, rechnet anders als eines, das vor sich hin probieren darf. Das ist keine Magie sondern Umfeld.

Die Physik ist damit weniger fern als gedacht. Sie zeigt, wie eine Welt aussehen kann, in der Möglichkeiten real sind bis die Situation sie zu einem Ergebnis zwingt. Wer Entscheidungen trifft, kennt das Gefühl. Vor dem Absenden der Bewerbung ist die Zukunft ein Schwarm Varianten. Nach dem Klick ist sie eine Linie und alles andere wird zu Stillbildern im Kopf. Auch das ist keine Einladung zur Träumerei. Es ist eine Einladung zur Verantwortung. Wir wählen Messgeräte für unser Leben. Die Art, wie wir zuhören, wie wir Rückmeldung geben, wie wir Pausen zulassen. Das bestimmt, welche Wirklichkeit uns begegnet. Wer nur fragt, wer hat recht, findet Streit. Wer fragt, was funktioniert, findet oft Kooperation. Wer fragt, was brauche ich, um mutig zu sein, findet selten die perfekte Antwort aber häufig den nächsten kleinen Schritt.

Bleibt die große Frage, ob die Welt nur im Blick des Betrachters entsteht. Ganz so bequem ist es nicht. Der Wasserkocher pfeift auch, wenn niemand im Zimmer steht. Doch die Bedeutung dessen, was wir hören, hängt von uns ab. Für die einen ist es Teezeit, für die anderen Lärm. Erkenntnis lebt in diesem Spalt zwischen Welt und Deutung. Die Quantenphysik macht ihn sichtbar ohne ihn zu schließen. Vielleicht ist das die tröstlichste Botschaft. Wir müssen nicht auf die letzte Erklärung warten, um gut zu handeln. Wir dürfen neugierig bleiben und trotzdem loslegen. Wir können akzeptieren, dass manche Rätsel nicht verschwinden und dennoch Wunderbares hervorbringen. Ein Labor voller Rauschen wird durch kluge Fragen zu einer Melodie. Ein Alltag voller Unschärfe wird durch achtsame Entscheidungen zu einer Geschichte, die Sinn stiftet.

Ein Mensch sitzt auf einer Parkbank und spürt Sonne und Schwere zugleich. Beides gehört dazu. Die Welt ist nicht entweder oder. Sie ist reich und manchmal widersprüchlich. Wer das zulässt, lebt entspannter und denkt klarer. Die Physik liefert dazu kein Rezeptbuch. Sie schenkt einen Kompass. Er zeigt nicht Norden im letzten Sinn. Er zeigt, wie man navigiert, wenn die Karten noch gezeichnet werden. Vielleicht beginnt Wirklichkeit genau dort zu blinzeln, wo wir ernsthaft fragen und freundlich antworten. In diesem Blinzeln liegt genug Licht für den nächsten Schritt. Und manchmal reicht der nächste Schritt, um eine ganze Welt zu verändern.

Von Kamuran Cakir

Aus einem anderen Blickwinkel