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Manchmal legt dir das Leben etwas auf den Tisch, das du nicht bestellt hast. Bildlich gesprochen ist es – sagen wir einfach mal – die Zitrone, die gelb glänzt, scharf riecht und dir beim ersten Biss alles im Gesicht zusammenzieht. Aber eine Zitrone ist kein Drama, sondern ein Rohstoff. Letztlich entscheidet nicht das Obst, was aus deinem Tag wird, sondern was du damit anstellst.

In der Psychologie spricht man davon, dass unser Kopf Gefahren früher erkennt als Möglichkeiten. Das war einmal hilfreich am Lagerfeuer, heute raubt es uns jedoch oft die Gelassenheit. Die gute Nachricht lautet schließlich, dass sich Gefühle formen lassen wie Ton. Wer übt, findet in derselben Lage andere Wege und das verändert sogar Schritt für Schritt, wie das Gehirn auf Stress reagiert.

Stell dir beispielsweise mal vor, dass du den Zug knapp verpasst hast, und dein wichtiger Termin näher rückt. Just in diesem Augenblick schießt sich dein Puls in die Höhe. Denn das erste Programm im Kopf meldet Alarm. Ein zweites Programm lässt sich allerdings dennoch starten. Nämlich ein ruhiger Atemzug, dann noch einer, und dann die Frage nach dem Handlungsspielraum. Vielleicht rufst du an und verschiebst den Termin, vielleicht nutzt du die unverhoffte halbe Stunde für einen kurzen Spaziergang um den Block. Bewegung senkt die innere Spannung, das ist gut belegt, und ganz nebenbei entstehen beim Gehen oft Lösungen, auf die man im Sitzen nicht gekommen wäre. Die Zitrone bleibt zwar weiterhin sauer, wenn wir bei unserem Bild mit der Zitrone bleiben, doch sie brennt nicht mehr auf der Zunge.

Noch ein Bild aus dem Büroalltag ist zum Beispiel ein Feedback, das  im Postfach landet und sticht. Der Impuls sagt in diesem Moment Rückzug oder Gegenangriff. Wer an dieser Stelle eine kleine Denkübung einschiebt, gewinnt. Was ist Fakt und was ist Deutung. Welche Information hilft mir beim nächsten Schritt. Menschen, die so umdeuten können, stolpern seltener in Grübelschleifen und finden schneller in die Spur zurück. Das ist keine rosarote Weltflucht, sondern angewandte Emotionsregulation. Du nimmst den Saft der Zitrone so wie er ist und mischst ihn klug, zum Beispiel zu einer süßen Limonade.

Eine Limonade braucht neben dem Zitronensaft drei Dinge. Süße, Wasser, Zeit. Übertragen bedeutet das Zuwendung, einfache Routinen, Geduld mit dir selbst. Zuwendung holst du dir bei Menschen, die dich nicht kleinreden und nicht aufpeitschen, sondern dich erden. Routinen sind kleine Handgriffe, die ohne Nachdenken laufen. Ein kurzer Notizzettel am Abend, drei Zeilen darüber, was gelungen ist und was morgen einen winzigen Millimeter leichter werden darf. Geduld ist das schwerste. Veränderungen wirken oft leise und später als erhofft, ähnlich wie Hefeteig, der unter dem Tuch arbeitet, während du schon glaubst, da passiert nichts mehr.

Humor ist dann noch das Salz am Glasrand. Wer sich über die eigene Schusseligkeit kurz schmunzelnd wundern kann, statt sich zu zerreißen, schützt Energie. Ein Spritzer Frische kommt über Perspektivwechsel. Stell vor dir zwei Gläser hin. Im einen landen alle Dinge, die du nicht ändern kannst. Im anderen alles, woran du schrauben kannst. Gieße deinen Tag in das zweite Glas, auch wenn es nur ein kleiner Rest ist. Ein Telefonat, ein höfliches Nein, eine Pause an der frischen Luft, drei tiefe Atemzüge, ein Glas Wasser. So entsteht Handgefühl für Kontrolle, und genau dieses Gefühl entlastet nachweislich.

Manchmal ist die Zitrone nicht frisch. Es gibt Verluste, die lassen sich nicht verdünnen. Dann ist kein Rezept gefragt, sondern Schutz wie ein wenig Schlaf, Zuwendung, vielleicht aber auch eine professionelle Hilfe. Die Limonade hat keinen Sinn, wenn die Hände noch zittern. Selbst Mitgefühl ist hier die klügste Zutat. Es bedeutet nicht, alles gut zu finden, sondern freundlich mit sich zu bleiben, während man durch eine schwere Stunde geht. Wer so mit sich umgeht, steht im nächsten Licht wieder fester.

Für die bewegten Tage taugt ein kleiner Vierklang, ein Wunsch, klar und freundlich, ein Bild, wie es sich anfühlt, wenn es klappt. Dann noch ein offenes Hindernis, das du erwartest. Und schließlich ein einfacher Plan. Wenn man beispielsweise zu sich sagt: „Wenn morgen früh das Handy schreit, drücke ich nicht weg, sondern stelle mich auf die Kante des Bettes, zähle langsam bis fünf und trinke ein Glas Wasser.“, sind solche Wenn- Dann-Verknüpfungen unscheinbar und sehr wirksam. Sie nehmen den inneren Verhandlern den Wind aus den Segeln und machen Handlung zu etwas, das fast automatisch geschieht.

Auch Kreativität gehört ins Glas. Du kannst aus Zitronensaft vieles zaubern. Vielleicht eine Marinade für ein schwieriges Gespräch, indem du vorab zwei Sätze notierst, die du auf jeden Fall ruhig sagen willst. Oder ein Sorbet für den Kopf, indem du dir eine Stunde internetfreie Zone schenkst und die Hände etwas tun lässt, das nichts mit Leistung zu tun hat. Vielleicht auch nur ein sprudelndes Mischgetränk, indem du der Aufgabe eine spielerische Regel gibst wie zwanzig Minuten Fokus, fünf Minuten Musik,dann  wieder zwanzig Minuten. Das Gehirn liebt Rhythmen, und der Tag beginnt zu fließen.

Der besondere Trick steckt am Ende in einer unscheinbaren Rechenidee. Wenn das Leben eine minus Zitrone reicht, dann ist der zweite Minus nicht Trotz, sondern Haltung. Du kehrst nicht alles ins Positive, nein, du arbeitest mit dem Material. Erst annehmen, dann mischen, dann kosten. Wer so lebt, wirkt nicht naiv, sondern geübt. Mit jeder kleinen Mischung wächst Zutrauen in die eigene Wirksamkeit. Und wenn der nächste saure Moment anklopft, steht da kein hilfloses Ich mehr, sondern jemand mit einem Glas in der Hand, der weiß, welche Zutaten ihm guttun und der aus dem, was da ist, etwas Trinkbares macht. Das reicht oft schon, um den Tag zu retten, und es ist erstaunlich, wie viele Ideen aufsteigen, sobald der erste Schluck gelingt.

Von Kamuran Cakir

Aus einem anderen Blickwinkel