Werbung
Werbung

Neue Gesichter bringen frischen Wind in jede Gruppe, ganz gleich ob im Sportverein, in der Nachbarschaftsinitiative oder im politischen Ortsverein. Menschen, die Energie, Kompetenz und Erfahrung mitbringen, sind einfach wertvoll. Sie können neue Ideen einbringen, blinde Flecken aufdecken und die Gemeinschaft bereichern. Doch immer wieder erlebt man, dass ein Neuzugang bereits in den ersten Tagen große Ambitionen offenbart und damit ungewollt auf Widerstand stößt.

Die Psychologie kennt dieses Phänomen nur zu gut. So löst ein zu schnelles Anspruchsdenken Misstrauen aus. Denn Gruppen, egal ob im Freundeskreis, im Verein oder in einer Partei, sind soziale Systeme, die auf Vertrauen, gemeinsamer Geschichte und unausgesprochenen Regeln basieren. Wer neu dazukommt, betritt nicht nur einen Raum, sondern auch eine Kultur. Und Kulturen brauchen Zeit, um verstanden zu werden.

So gibt es kleine, oft übersehene Anzeichen, die darauf hindeuten, dass eine Integration nicht reibungslos verläuft. Es sollen hier einmal drei Beispiele genannt werden, die in vielen Gruppen beobachtet werden können.

Wenn man beispielsweise in einer geselligen Runde in der Kneipe eine Runde spendiert, aber nicht alle einbezieht, sendet man ungewollt ein doppeltes Signal: „Ich will mich zeigen“,  aber zugleich auch: „Ich wähle aus, wer dazugehört.“ Psychologisch entsteht dadurch sofort eine In-Group vs. Out-Group-Dynamik.

Oder aber wenn jemand früh betont, in wenigen Jahren die Führung übernehmen zu wollen, ohne bisherige Beiträge gezeigt zu haben, wirkt das auf die Gruppe wie ein Überspringen wichtiger Prüfungen. Sozialwissenschaftlich gesprochen bedeutet dies, dass  das „Commitment durch Leistung“ fehlt.

Letztlich können offene Fragen nach „Doppelzugehörigkeit“ (z. B. zu einem alten Verein oder Netzwerk) als Grenztest verstanden werden. Bin ich wirklich bei euch oder spiele ich auf zwei Spielfeldern? Das schürt Unsicherheit.

Diese kleinen Gesten mögen für den Einzelnen harmlos erscheinen, doch für eine Gemeinschaft sind sie rote Fähnchen und Hinweise darauf, dass die Balance zwischen „Ich“ und „Wir“ noch nicht gefunden ist.

Warum reagieren Gruppen so? Soziologisch betrachtet verteidigen Gruppen ihre Stabilität. Neue Mitglieder müssen zunächst einen Beitrag leisten, bevor sie einen Anspruch anmelden. Dieser Mechanismus ist uralt,  er sichert Vertrauen, Kohäsion und Respekt vor denjenigen, die die Gruppe aufgebaut haben.

Wie also soll man am besten damit umgehen, wenn ein neues Mitglied zu schnell nach vorne prescht? Hier helfen weder eine Ablehnung noch eine naive Begeisterung. Empfohlen ist hier ein Weg der vorsichtigen Integration. Man sollte klare Rahmen setzen wie beispielsweise, dass zuerst die Mitarbeit kommt, und dann erst die Mitsprache. Aufgaben, die sichtbare Ergebnisse bringen, sind dabei der Schlüssel.

Auch sollte man Loyalität einfordern. Denn wer dazugehören will, muss Ambivalenzen hinter sich lassen, da Halbheiten nur Misstrauen schaffen.

Der Erfolg in Gruppen ist ein Marathon, kein Sprint. Wer das Tempo verlangsamt, erhöht seine Chancen auf echte Anerkennung.

Letztlich sind neue Mitglieder, die zu früh die Führung beanspruchen, kein seltenes Phänomen. Sie zeigen oft Energie und Selbstvertrauen, Eigenschaften, die langfristig wertvoll sein können. Aber erst wenn diese Energie in den Dienst der Gemeinschaft gestellt wird, entfaltet sie ihr volles Potenzial.

Die Lektion für jede Gruppe lautet schließlich, wachsam zu sein, ohne zu verurteilen. Die Gruppe sollte auf die kleinen Botschaften und Signale achten, Grenzen erforderlichenfalls freundlich, aber bestimmt markieren und gleichzeitig Raum geben, sich zu entwickeln. Denn oft zeigt sich erst nach einiger Zeit, ob der Neue ein Störenfried bleibt oder ein unverzichtbarer Motor für die Zukunft wird.

Von Kamuran Cakir

Aus einem anderen Blickwinkel