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Das Leben verläuft selten geradlinig. Meist sind es Umwege, Brüche und unerwartete Ereignisse, die uns formen. Ein Verlust, eine Krankheit, ein Einschnitt – plötzlich steht man an einem Punkt, an dem alte Sicherheiten nicht mehr tragen. Nicht laut, nicht dramatisch. Einfach still.

In solchen Momenten zeigt sich, wie sehr wir an Vorstellungen gebunden sind: an Stärke, an Kontrolle, an das Bild von einem funktionierenden Alltag. Wenn dieses Bild zerfällt, bleibt eine Frage zurück, die wir uns nur ungern stellen: Wer bin ich, wenn nichts mehr so ist wie vorher?

Der Mensch neigt dazu, weiterzumachen, selbst wenn innerlich vieles ungeordnet ist. Verantwortung lässt wenig Raum für Rückzug. Kinder, Arbeit, Verpflichtungen – sie warten nicht, bis man bereit ist. Und so entsteht eine Form des Weitermachens, die nicht heroisch ist, sondern notwendig. Eine leise Form von Standhaftigkeit.

Bemerkenswert ist, dass gerade jene, die viel erlebt haben, selten große Worte brauchen. Sie erklären ihr Leben nicht. Sie leben es. Zwischen Schmerz und Alltag entsteht eine neue Ordnung, nicht geplant, sondern gewachsen. Vielleicht liegt darin eine Form von Weisheit: anzunehmen, was nicht veränderbar ist, ohne sich selbst aufzugeben.

Philosophisch betrachtet ist der Mensch kein fertiges Wesen. Er ist ein Prozess. Er verändert sich durch Erfahrung, durch Verlust, durch Begegnung. Stabilität bedeutet in diesem Zusammenhang nicht, unbeweglich zu sein, sondern sich immer wieder neu auszurichten.

Unsere Gesellschaft misst Wert oft an Leistung und Tempo. Doch es gibt eine andere Art von Wert, die sich nicht messen lässt: die Fähigkeit, innerlich beweglich zu bleiben. Zuhören zu können. Hilfe anzunehmen. Und sich Pausen zu erlauben, ohne sie rechtfertigen zu müssen.

Vielleicht besteht Würde nicht darin, unversehrt zu bleiben, sondern darin, trotz Bruch eine Haltung zu entwickeln. Eine, die nicht laut ist. Aber tragfähig.

Was bleibt, wenn nichts mehr selbstverständlich ist?
Vielleicht genau das, was uns menschlich macht.

Von Kamuran Cakir

Aus einem anderen Blickwinkel