Eine Entscheidung fühlt sich oft so an, als hätte man in einem einzigen Moment den Schalter umgelegt. Doch je genauer man hinschaut, desto deutlicher wird es. Im Kopf ist das kein leiser Klick, sondern eher ein Marktplatz voller Stimmen. Viele Straßen laufen zusammen, Menschen reden durcheinander, Musik spielt an mehreren Ecken gleichzeitig. Am Ende entsteht daraus ein gemeinsames Muster, das wir schlicht „meine Entscheidung“ nennen.
Lange dachte man, das Gehirn würde so etwas wie eine strenge Behörde sein, die die Anträge von Schalter zu Schalter weiterleitet, erst zum Sinneseindruck, dann zum Denken uns schließlich zur Bewegung. Doch die neueren Einblicke zeichnen ein anderes Bild. Sie zeigen, dass Entscheidungen über das ganze Gehirn hinweg verteilt entstehen. Bereiche, die eigentlich für Wahrnehmung oder Motorik zuständig sind, mischen ebenso mit wie jene, die Erinnerungen speichern oder Erwartungen bereithalten. Man könnte sagen, das Gehirn ist weniger ein Fließband und mehr ein lebendiges Orchester, in dem jedes Instrument mitmischen darf.
Das spüren wir auch im Alltag, wenn auch unbewusst. Beim Einkaufen wandert die Hand plötzlich zum altbekannten Produkt, obwohl das neue direkt daneben leuchtet. Nicht nur das Auge entscheidet, auch die Erinnerung und ein Rest Gewohnheit steuern mit. Am Zebrastreifen sagt das Auge zum Beispiel es ist frei, doch gleichzeitig hält ein leiser Druck im Bauch uns zurück, weil ein Auto in der Ferne schneller klingt, als es aussieht. Solche Situationen zeigen, wie viele kleine Hinweise gleichzeitig wirken. Am Ende fühlt es sich nach einem klaren Entschluss an, doch in Wahrheit war es ein stilles Abstimmungsergebnis vieler Beteiligter.
Spannend ist auch, dass frühere Erfahrungen einen viel größeren Anteil haben, als wir ihnen zutrauen. Wer einmal auf dem Glatteis ausgerutscht ist, setzt die Schritte im nächsten Winter vorsichtiger, selbst wenn der Gehweg trocken aussieht. Diese Vorerfahrungen sind nicht nur in einem stillen Gedächtnisschrank abgelegt, sondern durchziehen das ganze Netzwerk. Sie färben jede neue Entscheidung, ohne dass wir uns dessen bewusst sind.
Gerade darin steckt eine Botschaft, die uns im Alltag helfen kann. Erstens, dass Entscheidungen ihre Zeit brauchen dürfen. Denn sie sind nicht das Werk einer einsamen Zelle, sondern das Ergebnis vieler Stimmen, die Gehör finden wollen. Zweitens, dass unsere Erwartungen mächtig sind. Wer sich also fragt, warum er automatisch so oder so handelt, entdeckt oft die alten Spuren vergangener Erlebnisse. Als letztes, dass auch der Körper Teil des Gesprächs ist, so beispielsweise in Form eines schnellen Herzschlags, eines verspannten Nackens, einer unruhigen Atmung. Sie alle sind Stimmen, die bei der Entscheidung mitreden.
Natürlich bleibt offen, wie sehr man diese Erkenntnisse vom Tiergehirn auf uns Menschen übertragen kann. Unser Kopf ist ungleich komplexer. Doch die Richtung ist klar und eindeutig, wir lernen immer mehr, dass Denken und Entscheiden nicht hierarchisch, sondern parallel und vernetzt ablaufen. Es ist, als ob wir uns von dem Bild einer strengen Treppe verabschieden und uns an eine lebendige Stadt gewöhnen, in der viele Wege gleichzeitig benutzt werden.
Auch für Technik und Gesellschaft ist das spannend. Denn viele unserer Systeme, ganz gleich ob Computerprogramme oder Organisationsstrukturen, sind noch wie Türme mit klaren Etagen aufgebaut. Doch vielleicht wäre es klüger, Netzwerke wie Städte zu denken, in denen viele Plätze gleichzeitig gefüllt sind und man nicht auf eine einzige Reihenfolge angewiesen ist.
Am schönsten aber ist vielleicht der Gedanke, dass eine Entscheidung kein heroischer Alleingang sein muss. Sie ist ein Gemeinschaftswerk im eigenen Kopf. Wenn es schwerfällt, liegt das nicht an Schwäche, sondern daran, dass viele Stimmen gleichzeitig etwas beitragen wollen. Wer ihnen Zeit lässt, wer die innere Stadt nicht zu früh zum Schweigen bringt, erlebt oft, wie sich allmählich ein Grundton bildet, der klar und ruhig klingt. Und genau dieser Ton ist es, dem wir vertrauen können.
Und weil wir an dieser Stelle gerne den Blick vom Großen ins Kleine richten, lohnt es sich auch, diese Erkenntnisse humorvoll in den Alltag mitzunehmen. Man denke an die langen Diskussionen im Familienrat, wenn es darum geht, wohin der nächste Urlaub gehen soll. Das eine Kind träumt vom Strand, das andere von Bergen und die Eltern hingegen schwanken zwischen Ruhe und Abenteuer. Und während die Stimmen lauter werden, merkt man, dass sich die Familie eigentlich wie ein Gehirn im Kleinformat verhält. Viele Meinungen, viele Erwartungen, am Ende eine Entscheidung, die erstaunlich oft gut funktioniert.
Oder nehmen wir die berühmte Frage am Sonntagabend, bei der es darum geht, ob man eine Pizza bestellen oder doch lieber etwas Gesundes kochen soll. Während der Bauch schon längst für Käse und Teig jubelt, meldet sich das schlechte Gewissen aus dem Hinterkopf und wirft mit Argumenten über Vitamine um sich. Schließlich kommt noch das Konto ins Spiel, das mahnend auf die Ausgaben zeigt. Am Ende entscheidet man sich, und egal wie, man findet eine Begründung, warum es genau richtig war. Das klingt chaotisch, ist aber nichts anderes als das Prinzip des Gehirns, nämlich ein lebendiger Kompromiss aus vielen Stimmen.
Diese Bilder mögen leicht wirken, doch sie zeigen, wie nah die Wissenschaft an unseren eigenen Erlebnissen ist. Wer also beim nächsten Mal das Gefühl hat, nicht weiterzukommen, sollte daran denken, dass es nicht ein einziger Gedanke ist, der fehlt, sondern viele, die gerade noch verhandeln. Und eben in dieser Vielfalt liegt nicht nur die Schwierigkeit, sondern auch die Stärke.
