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Vielleicht begegnest du einmal einem Menschen, vielleicht sogar dir selbst in einem dieser stillen Momente am Badezimmerspiegel  bei dem du spürst, dass die Seele auf irgendeine Weise erschöpfter wirkt als der Körper. Nicht, weil dieser Mensch nicht kämpfen würde, im Gegenteil, so wie viele andere Menschen hat dieser Mensch vielleicht auch schon einige Therapien hinter sich, Medikamente ausprobiert, Gespräche geführt, Hoffnung geschöpft und wieder verloren. Und doch bleibt das Gefühl bestehen, dass sich etwas in diesem Menschen festgekrallt hat, wie ein unsichtbarer Knoten, der sich partout nicht lösen will.

Depressive Episoden, die sich nicht zurückziehen, obwohl man alles versucht hat, sind für Betroffene eine doppelte Last. Sie leiden nicht nur unter der Erkrankung selbst, sondern auch darunter, dass scheinbar nichts wirklich hilft.

In der Wissenschaft trägt dieses Phänomen den nüchternen Namen „behandlungsresistente Depression“. Das klingt beinahe wie der Titel eines technischen Dokuments, doch für die Menschen dahinter ist es ein sehr menschliches Rätsel, vielschichtig, komplex und tief verankert in der eigenen Lebensgeschichte. Wenn Therapien nicht greifen, bedeutet das keineswegs, dass etwas „falsch“ ist an der Person. Es bedeutet vielmehr, dass die Mechanismen, die diese Form der Depression am Leben halten, anders funktionieren, verwobener sind, tiefer reichen als bei vielen anderen. Die Forschung der letzten Jahre, und besonders die Arbeiten skandinavischer Forschergruppen, die genetische Muster mit Lebensgeschichten verknüpfen, zeigt, dass sich darin ein Zusammenspiel aus Veranlagung, Lebensumständen und alten Verletzungen abzeichnet, das weit komplizierter ist, als man früher dachte.

Es gibt Menschen, deren genetische Landkarte ein paar zusätzliche Hügel und Täler enthält, zwar nicht sichtbar und auch nicht spürbar im Alltag, aber relevant, wenn das Leben beginnt, schwer zu werden. Studien weisen darauf hin, dass manche Menschen eine höhere „Verwundbarkeit“ für intensivere oder hartnäckige depressive Verläufe in sich tragen, vergleichbar mit einer körperlichen Empfindlichkeit, die man nie bewusst gewählt hat. Diese biologische Seite der Depression nimmt niemandem die Verantwortung, aber sie erklärt, warum zwei Menschen mit ähnlichen Belastungen so unterschiedlich darauf reagieren können. Während der eine wieder Boden unter den Füßen findet, rutscht der andere tiefer in etwas ab, das sich anfühlt wie ein Dauernebel, der sich einfach nicht lichtet.

Und dann gibt es die Schatten aus der Kindheit, die sich nicht immer laut melden, aber leise mitwirken. Menschen, die in jungen Jahren Vernachlässigung, Gewalt, emotionale Unsicherheit oder chronische Überforderung erlebt haben, tragen oft Spuren in sich, die ihr Stresssystem dauerhaft sensibler machen. Nicht so, dass man es ihnen ansieht. Oft sind gerade diese Menschen die, die besonders leistungsfähig erscheinen, sich zusammenreißen, funktionieren, aufräumen, bevor jemand kommt und dabei im Außen stark sind, im Inneren jedoch viel verletzlicher, als sie selbst ahnen. Lange Jahre später zeigt sich diese Verletzlichkeit häufig nicht als Erinnerung, sondern als erhöhte seelische Erschöpfbarkeit, als depressive Phasen, die sich hartnäckiger halten, weil alte Erfahrungen das Gehirn über Jahre geformt haben.

Dabei geht es nicht um Schuld. Nicht um Eltern, die versagt haben, und auch nicht um Betroffene, die „zu schwach“ wären. Es geht um die feinen, kaum sichtbaren Prägungen, die sich aus biologischen Faktoren, Familienmustern und Erlebnissen verweben, letztlich ein Zusammenspiel, das niemand aus freien Stücken erschafft. Und gerade das macht die behandlungsresistente Depression so schwer greifbar, denn sie ist kein stures „Nicht-Ansprechen“ auf Medikamente, sondern eine tief sitzende Struktur, die sich über viele Jahre entwickelt hat.

Wie fühlt sich das im Alltag an? Für Außenstehende gibt es keine offensichtliche Anleitung. Ein Mensch mit behandlungsresistenter Depression, kurz TRD, kann morgens aufstehen, zur Arbeit gehen, freundlich lächeln, sogar funktionieren und gleichzeitig das Gefühl haben, innerlich auf Zehenspitzen zu laufen. Jede Entscheidung kostet Kraft. Das Licht fühlt sich gedimmt an, selbst an hellen Tagen. Man erkennt dieses Gefühl manchmal eher an kleinen Sätzen als an großen Geständnissen: „Ich weiß nicht, warum ich so müde bin.“ „Eigentlich läuft alles gut, aber ich komme trotzdem nicht zur Ruhe.“ „Ich war doch in Therapie, warum ist es nicht besser?“ Man erkennt es an dieser Mischung aus Erschöpfung und Scham, als hätte man sich selbst enttäuscht.

Genau hier beginnt jedoch ein Perspektivwechsel, den moderne Forschung und klinische Erfahrung dringend anstoßen wollen. Eine behandlungsresistente Depression ist kein persönliches Scheitern. Sie ist kein Zeichen, dass die Therapie unnütz war oder die Medikamente falsch. Vielmehr zeigt sie, dass Menschen, wie auch das Gehirn, deutlich komplexer sind als jede einzelne Methode, die man anwenden kann. Und diese Erkenntnis eröffnet neue Wege: individuellere Behandlungspläne, feinere Diagnosen, stärker personalisierte Ansätze, die sowohl die biologische Veranlagung als auch die Lebensgeschichte berücksichtigen.

Gleichzeitig zeigt sich ein Hoffnungsschimmer, denn Menschen mit TRD sprechen oft sehr gut auf neue, ergänzende Methoden an, seien es moderne Formen der Psychotherapie, körperorientierte Ansätze, digitale Tools, intensivere Unterstützung oder innovative Behandlungen, die dort ansetzen, wo herkömmliche nicht greifen. Es ist kein Sprint, sondern ein Weg, der sich manchmal erst dann öffnet, wenn man versteht, dass er ein anderer ist als der Weg der meisten.

Vielleicht liegt der wichtigste Gedanke darin, dass Depressionen, besonders die hartnäckigen, immer auch eine Geschichte erzählen Nicht von Schwäche, sondern von Belastungen, die tief saßen. Von einem Körper, der sich irgendwann schützen wollte. Von einem Gehirn, das gelernt hat, in Alarmbereitschaft zu leben. Und von einem Menschen, der trotz all dem noch hier ist und immer noch sucht, hofft und ausprobiert.

Wenn etwas nicht heilt, heißt das nicht, dass es unheilbar ist. Es heißt nur, dass es anders betrachtet werden möchte. Genau darin steckt, so widersprüchlich es klingt, oft der erste Schritt einer Besserung.

Und vielleicht beginnt Heilung nicht dort, wo etwas schnell wirkt, sondern dort, wo man zum ersten Mal versteht, warum manches länger braucht.

Von Kamuran Cakir

Aus einem anderen Blickwinkel