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Es ist schon eine merkwürdige Ironie des Lebens, dass wir ausgerechnet dann hellwach werden, wenn wir uns am meisten nach Schlaf sehnen. Tagsüber stolpern wir müde durch Termine, zerknirscht von Stress und kleinen Katastrophen, und kaum liegt man im Bett, scheint der Kopf eine Bühne zu werden, auf der jeder Gedanke seine große Show abzieht. Der verpatzte Satz im Meeting, die Einkaufsliste für morgen, die alte Erinnerung aus der Schulzeit, alles will eben noch einmal durchgespielt werden. Der Schlaf dagegen bleibt einfach beleidigt im Hintergrund stehen.

Genau an dieser Stelle setzt eine Methode an, die zunächst fast kindisch wirkt, aber einen ernsten Kern hat: „Cognitive Shuffling“, frei übersetzt soviel wie das Durchmischen der Gedanken. Die Idee dahinter ist simpel. Wer seinen Kopf absichtlich mit harmlosen, zufälligen Begriffen füllt, lenkt ihn von den Sorgen ab, die ihn sonst wachhalten. Das Gehirn folgt dann einem ganz eigenen Rhythmus. Statt zu grübeln, sortiert es lose Wörter, die wie bunte Puzzleteile kurz aufleuchten und gleich wieder verschwinden. Der Effekt erinnert an das natürliche Wegdämmern, bei dem wir ohnehin in kleine, zusammenhanglose Bilderwelten abgleiten, noch bevor der eigentliche Traum beginnt.

Die Praxis ist leichter, als es klingt. Man nimmt sich einfach nur ein neutrales Wort vor, etwa „Lampe“. Aus jedem Buchstaben formt man einen neuen Begriff. Beim L taucht vielleicht „Löwe“ auf, beim A eine „Ananas“, beim M ein „Mantel“. Zu jedem Wort malt man ein winziges Bild im Kopf. Kein Druck, keine Bedeutung, nur lose Skizzen, die wie Seifenblasen zerplatzen. Das Entscheidende ist, dass diese Bilder belanglos genug sind, um keine Gefühle zu wecken, aber doch konkret genug, um die kreisenden Sorgen zu unterbrechen. So wie ein Kind, das in einer Reihe bunter Murmeln versinkt und dabei ganz vergisst, dass es eigentlich längst hätte schlafen sollen.

Interessant ist, dass Forscher dabei einen Mechanismus erkannt haben, der dem Einschlafen erstaunlich nahekommt. Unser Gehirn produziert in der Übergangsphase in den Schlaf sogenannte Mikroträume, kleine Bruchstücke von Szenen, die sich kaum zusammenfügen lassen. Das bewusste „Mischen“ von Gedanken scheint diesen Prozess nachzuahmen. Der Kopf signalisiert sich selbst, dass alles in Ordnung ist, und dass man hier einfach nur loslassen darf. Und während wir noch beim Buchstaben P im Wort „Lampe“ angelangt sind, hat uns der Schlaf schon längst umarmt.

Natürlich ersetzt keine Technik die grundlegenden Regeln für guten Schlaf. Wer sich mit Handylicht bis kurz vor Mitternacht beschallt, drei Espressi nach dem Abendessen trinkt oder im stickigen Schlafzimmer liegt, wird kaum von ein paar harmlosen Begriffen in den Traum getragen. Doch die Methode kann wie ein kleiner Trick funktionieren, wenn die Gedanken mal wieder lauter sind als die Müdigkeit. Und vielleicht ist es gerade dieser spielerische Ansatz, der uns einen Ausweg aus der Schwere des Grübelns zeigt. Nicht jeder Kampf muss mit voller Kraft geführt werden. Manchmal genügt es eben, dem Kopf einen Umweg anzubieten, und er findet den Weg von allein.

Es bleibt ein stiller Trost, dass wir Menschen mehr Werkzeuge in uns tragen, als wir oft glauben. Die Fähigkeit, uns selbst durch Gedankenbilder zu beruhigen, zeigt, wie fein die Balance zwischen Körper und Geist eigentlich ist. Vielleicht ist Schlaf gar nicht das erzwungene Ziel am Ende eines langen Tages, sondern ein Geschenk, das wir uns machen, wenn wir lernen, die Kontrolle loszulassen. Und wenn es dafür ein paar harmlose Worte braucht, die sich im Kopf zu einem kleinen Karussell drehen, dann ist das vielleicht genau die richtige Einladung an die Nacht.

Von Kamuran Cakir

Aus einem anderen Blickwinkel