Glaube und Überzeugung sind zentrale Pfeiler in unserem Leben. Sie bieten Orientierung, geben Sinn und definieren oft unsere Identität.

Aber was, wenn dieser Glaube, diese Überzeugung, nicht immer zum Besten für uns sind? Was, wenn wir durch das bloße Annehmen von Glaubenssätzen unsere Fähigkeit, kritisch und innovativ zu denken, behindern?

Denn während der Glaube uns Halt gibt, liegt darin auch eine potenzielle Gefahr: Wer nie hinterfragt, was er glaubt, riskiert, in einem Zustand der geistigen Stagnation zu verharren.

Nehmen wir Maria als Beispiel, die als junge Ingenieurin in einem traditionsreichen Unternehmen stets Vertrauen in die etablierten Arbeitsweisen und Prozesse ihrer Abteilung hatte. Generationen vor ihr hatten diese Prozesse entwickelt und verfeinert, die sie mit absoluter Überzeugung für unfehlbar hielt. Doch als das Unternehmen plötzlich mit einem Umsatzrückgang konfrontiert wurde, zeigte sich, dass diese bewährten Methoden nicht mehr zeitgemäß waren. Marias feste Überzeugung an das Althergebrachte verhinderte, dass sie neue, innovative Ansätze suchte und umsetzte. Hätte Maria früher begonnen, die etablierten Prozesse zu hinterfragen und nach innovativen Lösungen zu suchen, hätte das Unternehmen sich vielleicht schneller an die veränderte Marktlandschaft anpassen können.

Dieses Beispiel zeigt eindrücklich, wie das Festhalten an alten Glaubenssätzen uns blind machen kann für notwendige Veränderungen. Es zeigt, dass es nicht nur im persönlichen, sondern auch im beruflichen Kontext essenziell ist, festgefahrene Glaubenssätze in Frage zu stellen.

Aus der wissenschaftlichen Perspektive ist kritisches Denken eng mit der kognitiven Psychologie verbunden. Kognitionsforscher haben festgestellt, dass unser Gehirn dazu neigt, Informationen in einer Art und Weise zu verarbeiten, die unsere bestehenden Überzeugungen bestätigt – ein Phänomen, das als Bestätigungsfehler bekannt ist. Das bedeutet, dass wir oft Informationen suchen oder interpretieren, die unsere vorherigen Annahmen und Überzeugungen unterstützen, während wir gleichzeitig widersprüchliche Informationen ignorieren oder ablehnen. Doch warum ist das so?

Evolutionär gesehen hat es Vorteile, schnelle Schlüsse auf Basis von Erfahrung zu ziehen. Dies hat in der Vergangenheit möglicherweise dazu beigetragen, Gefahren schnell zu erkennen und zu vermeiden. Doch in der heutigen komplexen Welt kann dieses instinktive Denken uns oft in die Irre führen.

Ein weiteres Konzept aus der Wissenschaft des Denkens ist die kognitive Dissonanz. Dies beschreibt das Unbehagen, das wir empfinden, wenn zwei kognitive Elemente – wie Gedanken, Überzeugungen oder Einstellungen – miteinander in Konflikt stehen. Um dieses Unbehagen zu reduzieren, neigen Menschen dazu, ihre Überzeugungen oder ihre Wahrnehmung der Realität anzupassen. Dies kann dazu führen, dass wir uns noch stärker an unsere bestehenden Glaubenssätze klammern, selbst wenn sie im Widerspruch zur Realität stehen. Insbesondere zeigt uns die Wissenschaft, dass unser Gehirn dazu neigt, an Überzeugungen festzuhalten, selbst wenn sie nicht mehr aktuell oder nützlich sind. Das Erkennen dieser kognitiven Tendenzen und das bewusste Hinterfragen unserer Überzeugungen ist daher ein essenzieller Schritt, um nicht in die Falle der geistigen Stagnation zu geraten. Es ermutigt uns, über den Tellerrand hinauszuschauen, uns kontinuierlich weiterzuentwickeln und eine offene, reflektierte Haltung gegenüber der Welt um uns herum einzunehmen.

Studien haben gezeigt, dass Individuen, die regelmäßig ihre Überzeugungen und Annahmen hinterfragen, bessere Problemlösungsfähigkeiten aufweisen und flexibler in ihrem Denken sind. Sie sind eher in der Lage, sich an veränderte Umstände anzupassen und innovative Lösungen für neue Probleme zu finden.

Das Hinterfragen von Glaubenssätzen ist nicht nur ein Zeichen geistiger Reife, sondern auch eine Notwendigkeit in einer sich ständig verändernden Welt. Es ermöglicht uns, flexibel zu bleiben, neue Erkenntnisse zu integrieren und uns sowohl persönlich als auch professionell weiterzuentwickeln.

Es ist also nicht nur wünschenswert, sondern essenziell, dass wir lernen, unsere Überzeugungen ständig zu reflektieren und, wo nötig, anzupassen. Es erfordert Mut, aber der Prozess des Hinterfragens und Lernens ist es wert. Denn nur so können wir wachsen, uns weiterentwickeln und sind besser gerüstet für die ständigen Veränderungen, denen wir im Leben begegnen. Es geht dabei nicht darum, Glaube und Überzeugungen gänzlich abzulegen, sondern sie im Licht neuer Erkenntnisse und Erfahrungen immer wieder zu prüfen. Ein solches Vorgehen macht uns letztlich zu reflektierteren, offeneren und anpassungsfähigeren Individuen in einer vielschichtigen Welt.

Von Kamuran Cakir

Aus einem anderen Blickwinkel

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner