Lassen Sie uns die Bühne mit einem alltäglichen, humorvollen Beispiel betreten. Stellen Sie sich einen Bekannten vor – nennen wir ihn Klaus – der nach nur einem halben Jahr Geigenunterricht fest davon überzeugt ist, er könne ein ganzes Orchester dirigieren. Während er mit einem imaginären Taktstock in der Luft herumfuchtelt und voller Begeisterung von seiner vermeintlichen Expertise spricht, können die meisten von uns sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.

Aber was treibt Menschen wie Klaus dazu, ihre Fähigkeiten so dramatisch zu überschätzen?

Die Selbstüberschätzung ist ein durchaus weit verbreitetes Phänomen, bei dem Menschen ihre Fähigkeiten und Talente stark überschätzen. Dieses Verhalten kann zu unrealistischem Selbstvertrauen führen, insbesondere bei Personen, die tatsächlich über wenig oder keine besonderen Fähigkeiten verfügen. In diesem Artikel werden wir uns genauer mit diesem Thema beschäftigen. Damit, warum manche Menschen ohne erkennbare Talente sich dennoch selbst als talentiert betrachten.

Diese verzerrte Selbstwahrnehmung hat tatsächlich wissenschaftliche Wurzeln und wurde von den Psychologen David Dunning und Justin Kruger untersucht. Sie nannten dieses Phänomen den „Dunning-Kruger-Effekt“. Es beschreibt die paradoxe Situation, in der Menschen mit begrenztem Wissen oder Fähigkeiten oft ein übersteigertes Selbstbewusstsein bezüglich ihrer Kompetenz entwickeln. Das Paradoxe daran ist, dass ihnen häufig die metakognitive Fähigkeit fehlt, ihre eigene Inkompetenz zu erkennen.
Es gibt verschiedene Gründe und Mechanismen, die zu solch einer Selbstüberschätzung führen können. Ein wichtiger Faktor ist das Fehlen von Feedback.

Menschen wie Klaus, die wenig oder gar keine objektive Rückmeldung zu ihren Fähigkeiten erhalten, haben keinen Maßstab, um ihre Kompetenzen realistisch einzuschätzen. Sie sind in einer Art „Echo-Kammer“ gefangen, in der ihre eigene Perspektive die einzige ist, die sie hören und sehen.
Ein weiterer Grund könnte der Vergleich mit einer unrepräsentativen Gruppe sein. Wenn Klaus sich hauptsächlich mit Menschen umgibt, die ebenfalls keine musikalische Erfahrung haben, könnte er sich im Vergleich zu ihnen als Experten sehen. Der Teich, in dem er schwimmt, ist klein, und er fühlt sich wie der größte Fisch.

Manchmal kann die bloße Unkenntnis über ein bestimmtes Fachgebiet zur Selbstüberschätzung führen. Ohne ein tiefes Verständnis dafür, wie viel es wirklich braucht, um in einem Bereich kompetent zu sein, könnten Menschen ihre Fähigkeiten in diesem Bereich überschätzen.
Es gibt auch einen emotionalen Aspekt. Selbstüberschätzung kann ein Schutzmechanismus sein. In einer Welt, in der jeder erfolgreich und talentiert sein möchte, kann die Vorstellung, in etwas nicht gut zu sein, beängstigend sein. Menschen könnten sich selbst als talentiert betrachten, um ihr Selbstwertgefühl aufrechtzuerhalten.

Jetzt stellt sich die Frage: Kann man Menschen wie Klaus zur Einsicht bringen?

Das Bewusstsein für den eigenen Mangel an Wissen oder Können ist der erste Schritt zur Verbesserung. Es ist wichtig, sich ständig selbst zu reflektieren, Feedback zu suchen und anzunehmen und sich kontinuierlich weiterzubilden. Ein offenes Gespräch, konstruktive Kritik und gezielte Weiterbildung können helfen, die Illusion der Selbstüberschätzung zu durchbrechen.

Abschließend ist es wichtig zu betonen, dass jeder Mensch Stärken und Schwächen hat. Ein realistisches Selbstbild ist nicht nur für die individuelle Weiterentwicklung entscheidend, sondern auch für den Umgang mit anderen in sozialen oder beruflichen Situationen. Die Fähigkeit, realistisch und objektiv die eigenen Fähigkeiten zu bewerten, kann zu einer gesünderen Selbstwahrnehmung führen und ermöglicht es, gezielter an der eigenen Entwicklung zu arbeiten.

Von Kamuran Cakir

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