Gewohnheiten prägen unser Leben in einem Maße, das wir oft unterschätzen. Als Wesen der Routine folgen wir täglich einer Vielzahl unsichtbarer Skripte, die unseren Alltag strukturieren. Aber warum sind wir solche ‚Gewohnheitstiere‘? Die Antwort liegt in der Funktionsweise unseres Gehirns. Gewohnheiten sind Energiesparmechanismen des Gehirns, die es uns ermöglichen, überlebenswichtige Aufgaben effizient und ohne große bewusste Aufmerksamkeit zu erledigen. Sobald eine Handlung zur Gewohnheit wird, benötigt das Gehirn weniger Ressourcen, um sie auszuführen, was es uns erlaubt, unsere Aufmerksamkeit anderen Dingen zuzuwenden.

Die Vorteile von Gewohnheiten sind klar: Sie vereinfachen unser Leben, indem sie uns helfen, Komplexität zu reduzieren und Konsistenz in unserem Verhalten zu schaffen. Durch Routinen können wir Fähigkeiten wie das Lesen oder Autofahren meistern, ohne jedes Mal neu nachdenken zu müssen. Diese Automatisierung setzt kognitive Ressourcen frei für Aufgaben, die höhere geistige Anstrengungen erfordern.

Doch es gibt auch eine Schattenseite: Gewohnheiten können uns auch in unproduktive oder schädliche Muster verstricken. Schlechte Angewohnheiten wie Rauchen oder übermäßiges Naschen sind schwer zu brechen, weil sie tief in unseren neuronalen Pfaden verankert sind. Zudem können Gewohnheiten dazu führen, dass wir aufhören, aktiv zu hinterfragen und einfach im Autopilot durchs Leben gehen, was unsere Kreativität und persönliche Entwicklung hemmen kann.

Die Wissenschaft zeigt, dass Gewohnheiten im Gehirn durch eine Struktur namens Basalganglien unterstützt werden. Diese sind entscheidend für die Entwicklung von Gewohnheiten und arbeiten mit anderen Teilen des Gehirns zusammen, um Muster und Routinen zu etablieren und zu erhalten. Die psychologische Forschung hebt hervor, wie Belohnungen und Verstärkungen diese Prozesse beeinflussen. Eine Handlung, die konsequent belohnt wird, wird wahrscheinlich zur Gewohnheit. Dieses Verständnis hat auch zu therapeutischen Ansätzen geführt, die darauf abzielen, unerwünschte Gewohnheiten durch das Etablieren neuer, gesünderer Routinen zu ersetzen.

Sozialwissenschaftlich betrachtet, sind Gewohnheiten auch ein Bindemittel für die Gesellschaft. Sie ermöglichen soziale Ordnung und Vorhersehbarkeit. Kulturelle Normen und soziale Erwartungen werden oft durch gemeinsame Gewohnheiten manifestiert und aufrechterhalten. Doch während sie zur Gruppenkohäsion beitragen können, können sie auch zu Konformität und dem Widerstand gegen sozialen Wandel führen.

Schließlich ist die Rolle der Technologie in der heutigen digitalen Ära bei der Prägung und Verstärkung neuer Gewohnheiten nicht zu unterschätzen. Smartphones und Apps sind so gestaltet, dass sie unsere Aufmerksamkeit nicht nur kurzzeitig erregen, sondern uns auch langfristig binden. Die daraus resultierenden digitalen Routinen können sowohl förderlich als auch hinderlich für unser Wohlbefinden sein.

Positive digitale Gewohnheiten können durch Technologien entstehen, die auf Gesundheitsförderung und Produktivitätssteigerung abzielen. Gesundheitstracking-Apps, die uns daran erinnern, Wasser zu trinken, regelmäßig zu stehen und uns zu bewegen, fördern ein gesundheitsbewusstes Verhalten. Ebenso können Produktivitätsapps helfen, Arbeitsabläufe zu optimieren und Zeitfresser zu minimieren. Diese Werkzeuge können uns unterstützen, bewusster zu leben und unser eigenes Verhalten zum Besseren zu verändern.

Doch die Schattenseiten der Technologie sind ebenso präsent. Soziale Medien, Spiele und ständige Benachrichtigungen schaffen eine Umgebung der ständigen Ablenkung und können zu einer Sucht nach sofortiger Befriedigung führen. Die durch Technologie geformten Gewohnheiten können zu einer ständigen Erreichbarkeit und einem Gefühl des ‚Immer-On‘ führen, was Stress und Burnout fördern kann. Soziale Mediensucht ist ein Beispiel für eine solche schädliche Gewohnheit, die durch die endlosen Schleifen von Neuigkeiten und Benachrichtigungen genährt wird.

Die Gestaltung unserer digitalen Umgebung mit Bedacht und Selbstreflexion ist daher entscheidend. Es geht darum, Technologie als Werkzeug zu nutzen, das uns dient, und nicht umgekehrt. Das Bewusstsein für die digitalen Gewohnheiten, die wir entwickeln, und die Fähigkeit, sie zu hinterfragen und zu steuern, sind entscheidend für die Aufrechterhaltung unserer geistigen Gesundheit und unseres Wohlbefindens in einer immer vernetzteren Welt.

Weiterhin hat die Entdeckung der Neuroplastizität – die Fähigkeit des Gehirns, sich zu verändern und neu zu organisieren – unsere Sichtweise auf die menschliche Entwicklung und das Lernen revolutioniert. Diese Plastizität beweist, dass unser Gehirn auch im Erwachsenenalter formbar bleibt, und liefert eine wissenschaftliche Grundlage für die Veränderbarkeit von Gewohnheiten.

Gewohnheiten sind neuronale Pfade, die durch Wiederholung gestärkt werden. Jede Handlung, jeder Gedanke und jedes Gefühl, das wir wiederholen, festigt diese Pfade und macht die entsprechende Aktivität leichter und automatischer. Das ist der Grund, warum Gewohnheiten so eine beherrschende Macht haben können. Doch hier kommt die Neuroplastizität ins Spiel: Genauso wie Gewohnheiten geformt werden, können sie auch umgeformt werden. Durch bewusste Anstrengung und Konsistenz können neue Wege gebahnt und alte, unerwünschte Gewohnheiten überwunden werden.

Diese Erkenntnisse sind nicht nur theoretisch faszinierend, sondern haben auch praktische Anwendungen. Sie sind die Basis für Therapien bei Schlaganfallpatienten, Rehabilitation nach Verletzungen und Behandlungen von psychischen Störungen wie der Zwangsstörung oder Suchterkrankungen. Sie unterstreichen auch die Bedeutung von lebenslangem Lernen und mentaler Aktivität für die Gesunderhaltung unseres Gehirns.

Die Neuroplastizität gibt uns somit einen Grund für Optimismus: Sie versichert uns, dass Veränderung möglich ist und dass wir nicht unvermeidlich an unsere gegenwärtigen Gewohnheiten gebunden sind. Es ist die wissenschaftliche Bestätigung, dass wir die Architekten unseres eigenen Geistes sein können, was uns ermächtigt, Gewohnheiten zu schaffen, die zu einem erfüllteren Leben führen.

Insgesamt sind Gewohnheiten ein zweischneidiges Schwert. Sie können mächtige Verbündete sein, wenn es darum geht, unser Leben zu strukturieren und Effizienz zu steigern, aber sie können auch zur Falle werden, wenn sie uns in starre und ungesunde Muster zwingen. Das Bewusstsein für die Kräfte der Gewohnheit ermöglicht es uns jedoch, sie zu unserem Vorteil zu nutzen und bewusst Lebensweisen zu gestalten, die zu Wohlbefinden und persönlichem Wachstum führen.

Von Kamuran Cakir

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