Mit dem Alter kommt oft die leise Versuchung, sich ein wenig gehen zu lassen. „Ach, das macht doch nichts mehr“, denkt man vielleicht, während man das dritte Stück Kuchen genießt oder die tägliche Joggingrunde gegen einen gemütlichen Nachmittag auf der Couch eintauscht. Es ist verführerisch, den Alltag schleifen zu lassen, vor allem, wenn die einst jugendliche Energie nicht mehr so unermüdlich sprudelt wie früher. Aber ist das wirklich der richtige Weg? Sich gehen zu lassen – was bedeutet das eigentlich? Und warum verspüren so viele Menschen diesen Drang, wenn die Lebensjahre zunehmen?

Es beginnt oft schleichend. Plötzlich merkt man, dass die Hosen ein wenig enger sitzen, der Körper sich schwerfälliger bewegt, und die geistige Flexibilität ebenfalls nachlässt. Ist das etwa der Lauf der Dinge? Die Forschung zeigt: Nicht unbedingt. Wissenschaftlich erwiesen ist, dass sowohl körperliche als auch geistige Aktivität im Alter eine Schlüsselrolle spielt. Forscher betonen immer wieder, dass das Gehirn wie ein Muskel ist – es muss regelmäßig trainiert werden, um fit zu bleiben. Wer jedoch das Sofa der Denkfabrik vorzieht, merkt schnell, dass nicht nur der Körper, sondern auch der Geist träge wird.

Aber warum lassen wir uns im Alter überhaupt gehen? Ein oft zitierter Grund ist, dass wir uns das „verdient“ haben. Jahrzehnte von Arbeit, Verantwortung und Pflichten liegen hinter uns – warum also nicht endlich entspannen? Ja, sicher, eine Pause tut gut, aber die Herausforderung besteht darin, diese Pause nicht zum Dauerzustand werden zu lassen. Denn, wie das alte Sprichwort schon sagt: „Wer rastet, der rostet.“

Stell dir vor, du hast dein ganzes Leben damit verbracht, einen Garten zu pflegen. Du hast gesät, gegossen und geerntet, bis der Garten in voller Blüte stand. Jetzt, wo der Garten prächtig gedeiht, beschließt du plötzlich, dich nicht mehr um ihn zu kümmern. Die Blumen beginnen zu verwelken, das Unkraut übernimmt die Kontrolle, und ehe du dich versiehst, ist der Garten, der einst deine Freude war, nur noch ein Schatten seiner selbst. Ähnlich verhält es sich mit unserem Körper und Geist. Wenn wir aufhören, uns um uns selbst zu kümmern, verlieren wir die Lebendigkeit, die uns ausmacht.

Es gibt viele Beispiele im Alltag, wo man diesen Prozess beobachten kann. Der alte Schulfreund, der früher immer sportlich war, hat plötzlich einen Bierbauch. Die Tante, die einst eine brillante Rednerin war, fängt an, immer wieder dieselben Geschichten zu erzählen, weil sie vergisst, dass sie sie schon erzählt hat. Vielleicht erkennst du dich selbst in diesen kleinen Anekdoten. Aber das Schöne ist: Es ist nie zu spät, die Kurve zu kriegen.

Der Humor hilft uns oft, die Dinge leichter zu nehmen. Stell dir vor, du bist in einem Café und bestellst dir zum dritten Mal diese Woche eine Sahnetorte. „Wieso nicht?“, denkst du. Aber als du in den Spiegel schaust und das Ergebnis siehst, musst du lachen. Ja, es ist witzig, wie man sich selbst austrickst, indem man denkt, dass es keine Konsequenzen hat. Doch genau in diesem Moment, wenn das Lachen in dir aufsteigt, kommt auch das Bewusstsein, dass du der Kapitän deines eigenen Schiffes bist. Du kannst entscheiden, ob du den Kurs ändern willst.

Moderne Studien zeigen, dass der Lebensstil entscheidend ist. Menschen, die im Alter aktiv bleiben – körperlich, geistig und sozial – neigen dazu, länger gesund und glücklich zu bleiben. Es ist keine Frage von Perfektion. Niemand erwartet, dass du täglich einen Marathon läufst oder die neuesten wissenschaftlichen Artikel auswendig lernst. Es geht um die kleinen Schritte, die du bewusst machst, um dich nicht im Alter zu verlieren. Mal ehrlich, es ist doch eigentlich ziemlich befriedigend, auch im Alter etwas Neues zu lernen, sei es ein Tanzkurs, eine neue Sprache oder einfach das tägliche Kreuzworträtsel.

Lass uns auch nicht vergessen, dass es um Genuss geht. Sich im Alter nicht gehen zu lassen, bedeutet nicht, auf die Freuden des Lebens zu verzichten. Es geht vielmehr darum, diese Freuden bewusst zu genießen, anstatt sie achtlos in sich hineinzustopfen. Genieße das Stück Kuchen – aber tu es mit Bedacht. Geh spazieren, atme die frische Luft ein, spüre, wie dein Körper sich bewegt. Diese Momente der Achtsamkeit sind es, die uns das Alter nicht als Bürde, sondern als Chance erleben lassen.

Also, wie sieht’s aus? Sich gehen zu lassen ist vielleicht verlockend, aber die eigentliche Herausforderung – und der wahre Spaß – liegt darin, sich immer wieder neu zu entdecken. Das Alter ist nicht das Ende der Reise, sondern eine neue Etappe. Eine Etappe, in der man vielleicht langsamer geht, aber dafür umso bewusster. Bleib dran. Sei neugierig. Pflege deinen Garten – körperlich, geistig und seelisch – und du wirst sehen: Es lohnt sich.

Von Kamuran Cakir

Aus einem anderen Blickwinkel

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