Es ist dieses kleine, nagende Gefühl, das uns gelegentlich überkommt. Es taucht auf, wenn wir auf dem Sofa sitzen und durch die sozialen Medien scrollen. Da sind sie, die Bilder von Freunden, die gerade das Abenteuer ihres Lebens erleben: sie reisen, feiern, genießen – und wir sitzen hier und fragen uns: „Verpasse ich gerade etwas?“

Dieses Phänomen, in der Psychologie als „FOMO“ – „Fear of Missing Out“ – bekannt, ist nicht nur ein Produkt der modernen Welt, aber es hat in Zeiten des Internets und der ständigen Vernetzung eine neue Dimension erreicht. Es ist die Angst, dass irgendwo etwas Besseres passiert, von dem wir ausgeschlossen sind. Wir wollen dazugehören, teilhaben, miterleben, was die anderen erleben – aus Angst, dass wir sonst den Moment, das Glück, die Chance verpassen könnten. Aber halt mal… Verpassen wir wirklich so viel?

Schauen wir uns das Ganze mal nüchtern an: Wie oft passiert es, dass ein Event, das wir verpasst haben, wirklich der Höhepunkt des Jahres war? Der Grund, warum uns das Gefühl des Verpassens so stark packt, liegt in unserer Wahrnehmung. Wir neigen dazu, Ereignissen im Nachhinein mehr Gewicht zu geben, als sie es tatsächlich verdienen. Sicherlich, der Partyabend, den wir nicht mitgemacht haben, wird am nächsten Tag von allen Freunden hochgejubelt. Aber mal ehrlich, die Hälfte der Nacht wurde vermutlich damit verbracht, an der Bar Schlange zu stehen, und die Musik war so laut, dass niemand wirklich miteinander reden konnte. Doch in unserer Vorstellung bleibt es das Event des Jahres. Das, was wir uns entgehen ließen, wird zu einem unerreichbaren Erlebnis aufgebauscht.

Dieser Gedanke wird durch moderne Forschung gestützt. Neurowissenschaftler haben herausgefunden, dass unser Gehirn dazu neigt, Dinge, die wir nicht miterlebt haben, zu idealisieren. Es entsteht eine Art „Erinnerungslücke“, die unser Verstand mit fantastischen Szenarien füllt. Das klingt verrückt, aber es erklärt, warum wir manchmal mehr Trauer über das Verpasste empfinden, als wir uns über das tatsächlich Erlebte freuen.

Hier kommt das Entscheidende: Das Leben hat eine Art Rhythmus. Manche Dinge passieren – und manche nicht. Und oft merken wir erst später, dass es gut war, dass wir nicht dabei waren. Was uns entgeht, mag verlockend erscheinen, aber was wirklich zu uns gehört, wird früher oder später seinen Weg in unser Leben finden. Wer kennt das nicht? Man verpasst eine Verabredung, nur um am nächsten Tag festzustellen, dass genau in der verpassten Zeit der Lieblingsfilm im Fernsehen lief, den man sonst nie geschaut hätte. Oder man sagt eine Einladung ab, und genau an diesem Abend ruft ein alter Freund an, den man seit Jahren nicht mehr gehört hat. Zufall? Vielleicht. Aber vielleicht auch ein Beweis dafür, dass das Leben uns das schenkt, was wir wirklich brauchen – und nicht das, was wir glauben zu verpassen.

Ein weiteres Beispiel: Ein Kollege erzählt voller Begeisterung von einer spontanen Reise, die er am Wochenende gemacht hat. Es klingt traumhaft, und du ärgerst dich, dass du nicht auch so spontan warst. Aber was er dir nicht erzählt, ist, dass er in den ersten zwei Stunden am Flughafen festsaß und sich dann im Hotel über das schlechte WLAN geärgert hat. Die Glanzlichter werden herausgepickt und präsentiert – der Rest verschwindet unter den Teppich. Doch wir nehmen die Story als Ganzes und fühlen uns leer, weil wir nicht dabei waren.

Doch hier kommt der Clou: Wenn etwas wirklich für uns bestimmt ist, wenn wir eine Erfahrung machen sollen, dann kommt sie. Vielleicht nicht immer genau in dem Moment, in dem wir es uns wünschen, aber sie wird kommen. Und wenn nicht, dann war es vielleicht auch nicht das Richtige für uns. Der Trick ist, zu lernen, den Moment, in dem man sich befindet, voll und ganz zu genießen. Statt sich auf das zu konzentrieren, was anderswo passiert, sollten wir uns fragen: „Was passiert hier und jetzt, das ich vielleicht gerade übersehe?“

Unser Leben besteht aus einer unendlichen Kette von kleinen Momenten, die in ihrer Gesamtheit das Bild unserer Existenz formen. Jeder Moment, den wir erleben, ist einzigartig und unersetzlich. Die vermeintlich „verpassten“ Ereignisse sind oft gar nicht so grandios, wie wir sie uns ausmalen. Statt uns also von dieser Illusion leiten zu lassen, sollten wir lernen, den Augenblick zu schätzen, in dem wir uns gerade befinden. Denn, wie ein altes Sprichwort sagt: „Das Gras auf der anderen Seite des Zauns mag grüner erscheinen, aber es braucht genauso viel Pflege wie das eigene.“

Letztlich geht es nicht darum, an jeder Aktivität teilzunehmen oder jedes Erlebnis mitzunehmen. Es geht darum, mit sich im Reinen zu sein, den eigenen Weg zu gehen und darauf zu vertrauen, dass das, was wirklich wichtig ist, seinen Weg zu uns finden wird. Denn, wenn wir ehrlich sind, verpassen wir nur das, was uns ohnehin nicht wirklich gehört. Und das, was zu uns gehört, wird immer seinen Weg zu uns finden – egal, ob wir es geplant haben oder nicht.

Womöglich wird es dann genau das sein, was wir gebraucht haben, ohne es vorher gewusst zu haben.

Von Kamuran Cakir

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