Da sitzt du mit Freunden in einem Restaurant. Die Kellnerin stellt vor dir ein Gericht ab, das du noch nie zuvor probiert hast. Neben dir schwärmt jemand, dass es das Beste ist, was er je gegessen hat – „wirklich ein Geschmackserlebnis!“ – und du bist voller Vorfreude. Du greifst nach der Gabel, nimmst den ersten Bissen, und siehe da, es ist tatsächlich fantastisch. Oder, zumindest fühlt es sich so an. Ist es wirklich der Geschmack? Oder sind es deine Erwartungen, die dir dieses Erlebnis bescheren?

Unsere Erwartungen sind wie unsichtbare Brillen, durch die wir die Welt sehen – oder in diesem Fall, schmecken. Sie beeinflussen nicht nur, wie wir Dinge wahrnehmen, sondern auch, wie intensiv wir sie erleben. Und dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um den Genuss einer feurigen, scharfen Soße oder das Gefühl von Schmerz handelt – das, was wir erwarten, kann unsere tatsächliche Erfahrung verändern.

Interessant wird es, wenn wir darüber nachdenken, wie sehr positive und negative Erwartungen unser tägliches Leben formen. Eine Gruppe von Forschern wollte genau das herausfinden und führte eine Studie durch. Dabei ging es weniger um die Frage, ob Menschen scharfe Soße mögen oder nicht, sondern darum, wie ihre Erwartungen den Geschmack und das damit verbundene Erlebnis verändern. Was herauskam, ist faszinierend und irgendwie auch beunruhigend: Menschen, die erwarteten, dass die Soße köstlich wäre, genossen sie mehr, selbst wenn sie sie normalerweise nicht mochten. Im Gegensatz dazu fanden diejenigen, die bereits mit dem Gedanken „Oh nein, das wird brennen!“ an die Soße herangingen, das Erlebnis unangenehmer, sogar schmerzhaft.

Was sagt uns das? Ganz einfach: Erwartungen schaffen Realität. Sie sind wie ein innerer Regisseur, der das Drehbuch unseres Lebens immer wieder neu schreibt. Das ist nicht nur eine nette Metapher – es ist wortwörtlich so, dass unser Gehirn auf Erwartungen reagiert und sich entsprechend anpasst. Wenn wir etwas erwarten, das uns glücklich macht, belohnt uns unser Gehirn, indem es genau diese Erfahrung verstärkt. Fühlen wir uns jedoch unsicher oder ängstlich, erleben wir das Ganze viel intensiver und oftmals schmerzhafter.

Vielleicht hast du das selbst schon erlebt. Erinnerst du dich an den ersten Tag eines neuen Jobs? Du gehst hinein, voller Hoffnung, dass alles gut laufen wird. Und tatsächlich – die Menschen sind freundlich, die Arbeit interessant, und der Tag vergeht wie im Flug. Aber war das wirklich so, oder hat dein Gehirn einfach beschlossen, dass du eine gute Zeit haben sollst? Jetzt stell dir vor, du hättest dieselben Situationen mit der Erwartung betreten, dass alles schiefgehen wird. Die Kollegen wären plötzlich distanzierter, die Aufgaben komplizierter, und der Tag würde sich in die Länge ziehen. Doch die äußeren Umstände wären die gleichen – es ist dein innerer Dialog, der das Erlebnis formt.

Das ist die Magie unserer Erwartungen: Sie sind kraftvoller, als wir denken. Sie schalten wie ein Lichtschalter das Gehirn auf „Genuss“ oder „Schmerz“. Und das Beste daran? Du hast die Kontrolle darüber. Das bedeutet nicht, dass wir uns alles schönreden müssen – manchmal sind Situationen wirklich unangenehm, und das zu leugnen, wäre nicht ehrlich. Aber oft unterschätzen wir die Macht, die unsere Gedanken über unser Erleben haben.

Vielleicht sind wir ja alle kleine Zauberer, die mit unseren Gedanken unsere Welt gestalten. Die Frage ist nur, welches Kunststück wir jeden Tag vorführen wollen. Entscheiden wir uns für die positive Erwartung und machen damit selbst aus einem scharfen Soßentest ein Highlight? Oder lassen wir uns von der Angst vor dem Schmerz kontrollieren?

Und nun? Wenn du das nächste Mal vor einer Herausforderung stehst – sei es ein neuer Job, ein schwieriges Gespräch oder ja, sogar eine scharfe Soße – frag dich: „Was erwarte ich eigentlich?“ Und vielleicht versuchst du, diese Erwartung ein wenig zu ändern. Denn wer weiß – vielleicht wird es nicht nur erträglich, sondern sogar erstaunlich gut.

Von Kamuran Cakir

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