Es kommt mal vor, dass du  von einer neuen Idee begeistert bist. Du willst vielleicht ein neues Hobby anfangen, oder hast einen Jobwechsel im Kopf oder träumst davon, endlich dein eigenes Unternehmen zu gründen. Du erzählst es deinen Freunden und der Familie – voller Vorfreude, dass sie deinen Enthusiasmus teilen werden. Doch was passiert? Kaum hast du den Mund aufgemacht, schon hagelt es Kritik. Aber nicht nur irgendeine, sondern eine, die dich direkt ins Mark trifft. Wo Fremde vielleicht mit einem höflichen Nicken reagieren oder sogar Lob aussprechen, nehmen deine Liebsten keinen Blatt vor den Mund. Sie analysieren jede kleine Schwäche deines Vorhabens, als wären sie auf einmal Experten in deinem Bereich. Und ganz plötzlich siehst du dich einem gnadenlosen Urteil gegenüber.

Woran liegt das? Warum ist es ausgerechnet die Familie oder der enge Freundeskreis, der uns am härtesten kritisiert? Die Antwort liegt tief in unserer menschlichen Natur verborgen und lässt sich sowohl psychologisch als auch soziologisch erklären.

Menschen neigen dazu, bei denen, die ihnen am nächsten stehen, besonders streng zu sein. Warum? Weil sie sich in den Erfolg oder Misserfolg derjenigen, die sie lieben, emotional eingebunden fühlen. Sie sehen sich gewissermaßen als Mitverantwortliche. Was bei einem Fremden nur ein lapidarer Hinweis wäre, wird bei dir zu einem umfassenden Gutachten. Es ist, als wollten sie dich vor einem möglichen Scheitern bewahren – auch wenn ihre Worte manchmal mehr nach Abrissbirne klingen als nach Sicherheitsnetz.

Hinzu kommt, dass uns nahestehende Personen uns oft sehr gut kennen. Sie wissen, wo unsere Schwächen liegen, haben vielleicht schon frühere Projekte scheitern sehen und glauben nun, sie müssten uns vor weiteren „Fehlern“ bewahren. Ironischerweise gilt das nicht unbedingt für Fremde. Bei denen nehmen sie dieselben Schwächen oft kaum wahr oder lassen sie großzügig durchgehen.

Ein Beispiel: Du erzählst deiner besten Freundin, dass du einen Blog über Backen starten möchtest. Sie schaut dich kurz an und sagt: „Meinst du wirklich, dass das etwas für dich ist? Du hast doch letztes Jahr schon diesen Fitness-Blog angefangen, und wie lange hast du das durchgehalten? Zwei Wochen?“ Zack, das sitzt. Wäre dieselbe Idee von einer Bekannten gekommen, hätte deine Freundin vielleicht gesagt: „Cool, das klingt spannend, ich bin gespannt, was daraus wird.“

Es gibt sogar wissenschaftliche Erklärungen dafür. Der Sozialpsychologe Leon Festinger entwickelte die Theorie des „sozialen Vergleichs“. Sie besagt, dass Menschen sich mit anderen vergleichen, um ihr eigenes Selbstwertgefühl zu stärken. In engen Beziehungen neigen wir dazu, besonders kritisch zu sein, weil der Erfolg oder Misserfolg des anderen auch unser eigenes Bild beeinflusst. Deine Freunde und Familie könnten unbewusst Angst haben, dass dein Erfolg sie schlechter dastehen lässt. Wenn du es schaffst, ein erfolgreiches Unternehmen zu gründen oder mit deinem neuen Hobby zu glänzen, dann könnte das dazu führen, dass sie sich fragen: „Warum hab ich das nicht auch geschafft?“

Und das Beste daran? Diese Kritik kommt meistens gar nicht böse gemeint. Sie wird dir oft als „gut gemeinter Ratschlag“ serviert, manchmal sogar mit einem Hauch von Besorgnis. Doch das Gefühl, das bei dir ankommt, ist ein anderes. Plötzlich zweifelst du an deiner Idee, fragst dich, ob du wirklich gut genug bist und ob es überhaupt Sinn macht, weiterzumachen.

Aber was können wir tun, wenn uns Kritik aus nächster Nähe so hart trifft? Zunächst einmal: Wir sollten verstehen, dass diese Kritik oft mehr über die Ängste und Unsicherheiten der anderen aussagt als über uns selbst. Denn während sie uns vor einem vermeintlichen Scheitern bewahren wollen, projizieren sie häufig ihre eigenen Zweifel und Ängste auf uns. Das Wissen darum hilft, die Schärfe der Kritik etwas abzumildern.

Ein weiteres hilfreiches Mittel ist, sich mit Fremden auszutauschen. Menschen, die emotional weniger eingebunden sind, neigen oft dazu, objektiver und konstruktiver Feedback zu geben. Sie sehen das Potenzial und die Möglichkeiten, ohne von persönlichen Ängsten und Sorgen beeinflusst zu sein.

Und zu guter Letzt: Nimm die Kritik nicht persönlich, sondern als das, was sie ist – ein Ausdruck von Fürsorge, auch wenn sie sich nicht immer so anfühlt. Die größte Herausforderung besteht darin, trotz der manchmal harten Worte weiterzumachen und an dich selbst zu glauben. Denn am Ende des Tages bist du diejenige, die den Weg geht – nicht die Kritiker.

Vielleicht sollte man die gut gemeinten Ratschläge einfach als das sehen, was sie sind: Ein Hinweis, dass du dich auf einem Weg befindest, den andere als herausfordernd empfinden. Und das ist ja eigentlich ein gutes Zeichen, oder? Schließlich bedeutet das, dass du etwas wagst, das nicht jeder kann. Und das allein ist schon ein Grund, stolz auf dich zu sein.

Von Kamuran Cakir

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