Stress ist wie der ständige Gast, den niemand eingeladen hat, der aber trotzdem immer wieder vorbeischaut. Wir alle kennen ihn, mal als flüchtigen Bekannten, der sich nur kurz blicken lässt, mal als Dauergast, der sich häuslich bei uns einrichtet. Dabei ist Stress nicht grundsätzlich der Bösewicht, für den wir ihn oft halten. Tatsächlich kann Stress uns sogar ein hilfreicher Freund sein, wenn wir ihn richtig einsetzen und verstehen, was er mit uns macht.
Stell dir vor, du stehst auf einer belebten Straße und plötzlich rennt ein Hund auf dich zu. Dein Herz schlägt schneller, die Muskeln spannen sich an, deine Sinne schärfen sich. Stress setzt ein – dein Körper schüttet Adrenalin und Cortisol aus, die dich in einen „Kampf-oder-Flucht“-Modus versetzen. Stress in solchen Momenten ist extrem nützlich: Er gibt dir einen Kick, macht dich wach und handlungsbereit. Genau so funktionieren wir Menschen seit Urzeiten. Damals, als wir uns noch auf Jagden und gefährliche Situationen einlassen mussten, war Stress unser Schutzmechanismus. Er hat uns gewarnt und unsere Sinne auf das Schärfste eingestellt.
Doch wie ist das heute? Die wenigsten von uns müssen vor einem wilden Tier fliehen. Heute kommt Stress oft anders daher – ein klingelndes Handy mitten in der Nacht, eine schier endlose To-Do-Liste, die ständige Erwartung, immer erreichbar zu sein. Unser Körper kennt jedoch den Unterschied nicht und reagiert, als stünden wir erneut diesem „wildgewordenen Hund“ gegenüber. Die gleiche Chemie wird ausgelöst, das Herz klopft, die Muskeln spannen sich an. Nur, dass wir nicht weglaufen können, sondern weiter sitzen und arbeiten. Der Stress bleibt, und wenn er dauerhaft wird, spürt unser Körper die Folgen. Chronischer Stress – also dieser Dauerbesuch, den keiner haben will – macht uns auf Dauer krank. Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlafstörungen, Erschöpfung, ja sogar Depressionen können die Folge sein. Unser Körper, der für kurze Stressschübe geschaffen ist, gerät aus dem Gleichgewicht, wenn Stress zu einem Dauerzustand wird.
Dennoch ist Stress nicht nur schlecht. Stell dir vor, du arbeitest an einem Projekt, das dich begeistert. Du fühlst dich angespornt, hast Ideen, die nur so aus dir herausströmen. Das ist auch Stress – positiver Stress, den man Eustress nennt. Diese Art von Stress bringt uns voran, sie gibt uns Energie und lässt uns manchmal sogar über uns hinauswachsen. Es ist der kleine, aber wichtige Unterschied zwischen „Ich muss“ und „Ich will“. Wenn wir etwas wirklich wollen und Stress dabei entsteht, dann empfinden wir ihn oft sogar als beflügelnd und nicht als belastend.
Natürlich ist es leichter gesagt als getan, in einer stressigen Situation nur den positiven Aspekt zu sehen. Doch oft hilft es, einen Moment innezuhalten und sich zu fragen: Warum genau stresse ich mich jetzt eigentlich? Ist es der Druck, den ich mir selbst mache? Oder sind es äußere Erwartungen, denen ich mich unterwerfe? Eine kleine Atempause zwischendurch, das berühmte „bis sechs zählen“, kann wahre Wunder wirken. Einfach tief durchatmen, die Augen schließen und für einen Moment den Gedanken „Ich muss jetzt sofort alles erledigen“ beiseiteschieben.
Denn letztlich haben wir alle unsere ganz eigenen Auslöser für Stress. Für den einen ist es ein wichtiges Meeting, für den anderen die Einkaufsliste, die noch am Kühlschrank hängt. Und dennoch verbindet uns alle das gleiche Grundgefühl: Stress ist ein Signal unseres Körpers, eine Botschaft, die uns darauf hinweist, dass etwas im Gange ist. Statt Stress also als unerwünschten Besucher abzuweisen, könnten wir ihn auch als Boten sehen, der uns helfen möchte. Klar, manchmal bringt er Nachrichten, die wir lieber nicht hören würden. Aber in vielen Fällen kann Stress auch unser Freund sein, der uns auf die Sprünge hilft.
Vielleicht können wir sogar lernen, ihn ein bisschen zu zähmen, wie ein Haustier, das gelegentlich bellt, aber im Grunde doch liebenswert ist. Indem wir ihm zuhören und ihn nur dann willkommen heißen, wenn er wirklich gebraucht wird.