Sie liegt auf der Couch, das Kissen stützt den unteren Rücken. Er sitzt daneben, mit dem Tablet in der Hand, die Augen auf den Bildschirm gerichtet, aber das Ohr bei ihr. Es ist ein ruhiger Abend, einer von vielen, an denen die Rückenschmerzen wieder einmal den Takt vorgeben. Sie will nicht klagen. Er will helfen. Und irgendwo zwischen einem unbedachten Seufzen und einem stummen Blick entsteht eine unsichtbare Spannung, die sich langsam durch die Beziehung schlängelt – kaum spürbar, aber stetig.

Was auf den ersten Blick wie Fürsorge und Partnerschaft pur aussieht, birgt bei genauerem Hinsehen eine merkwürdige Paradoxie: Nähe, so wohltuend sie sein kann, wird manchmal zur Last. Besonders dann, wenn ein Partner chronische Schmerzen hat. Denn in einer Beziehung, in der einer leidet, leidet oft auch der andere – ohne Wunde, ohne Entzündung, aber mit innerem Druck, Sorgen und stillem Mitgefühl, das nicht selten in Überforderung umschlägt.

Die emotionale Verbindung zwischen Paaren ist ein starkes Band – doch dieses Band kann auch das Schmerzempfinden übertragen, wie eine unsichtbare Brücke, über die nicht nur Liebe, sondern auch Leid wandert. Je intensiver die emotionale Nähe, desto durchlässiger scheint diese Brücke. Und plötzlich fühlt sich der gesunde Partner nicht nur mitverantwortlich, sondern irgendwie… mitschuldig. Weil er nicht helfen kann. Oder zu viel hilft. Oder sich vielleicht einmal an einem guten Tag erhofft hatte, es sei vorbei.

Diese inneren Konflikte führen zu Momenten, in denen ein einfaches „Wie geht’s dir heute?“ mehr als nur eine Frage ist. Es ist ein Balanceakt zwischen echter Anteilnahme und der Angst, wieder in die Rolle des unsichtbaren Mit-Leidenden gedrängt zu werden. Nähe, die eigentlich wärmen sollte, beginnt zu drücken wie ein zu enges Hemd.

Gleichzeitig will man doch genau das: Nähe. Vertrauen. Verbundenheit. Gerade bei Krankheit. Und manchmal tut ein gemeinsames Frühstück, ein Spaziergang trotz Schmerzen oder das stille Händchenhalten auf dem Sofa mehr als jedes Medikament. Es sind diese kleinen Dinge, die Kraft geben – aber sie kommen nicht ohne Preis. Denn auch schöne Gesten können überfordern, wenn sie zur täglichen Pflicht werden.

Ein Beispiel? Der Partner, der jeden Tag fragt, ob er etwas tun kann. Und damit – obwohl gut gemeint – unbewusst signalisiert: Du bist hilfsbedürftig. Oder der Moment, in dem ein Kinobesuch abgebrochen werden muss, weil die Sitzlehne drückt. Und der andere mitgeht, obwohl er sich auf den Film gefreut hat. Kein Drama, aber ein weiteres Puzzlestück im Bild eines Alltags, der sich langsam nicht mehr gleichberechtigt anfühlt.

Und doch: Es ist kein Plädoyer für Distanz. Es ist ein Aufruf zur Ehrlichkeit. Nähe darf da sein, wo sie stärkt – aber sie muss nicht überall sein. Es ist völlig in Ordnung, auch mal einen Spaziergang alleine zu machen, sich aus dem Schmerzgeschehen auszuklinken und sich selbst Raum zu geben. Denn Selbstfürsorge ist nicht egoistisch, sondern überlebenswichtig – auch in der Liebe.

In all dem zeigt sich, wie komplex Partnerschaft in schwierigen Zeiten sein kann. Und wie wenig darüber gesprochen wird. Vielleicht, weil man sich schämt, als Partner eines chronisch kranken Menschen manchmal erschöpft, genervt oder traurig zu sein. Dabei ist genau das menschlich. Genau das zeigt, wie tief die Verbindung geht. Aber eben auch, dass sie gepflegt werden muss – mit Gesprächen, mit kleinen Auszeiten, mit viel Geduld.

Letztlich ist Nähe nicht nur ein Gefühl, sondern eine Entscheidung. Jeden Tag neu. Und in Beziehungen, in denen Schmerz zum Alltag gehört, darf diese Entscheidung auch mal lauten: Heute mit Abstand lieben. Und morgen vielleicht wieder näher rücken.

Von Kamuran Cakir

Aus einem anderen Blickwinkel

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner