Die erste Liebe. Der erste Streit mit den Eltern. Die Frage, ob man dazugehört – oder nicht. All das passiert heute nicht nur auf dem Schulhof oder beim Treffen im Park, sondern viel häufiger im digitalen Raum. Snapchat-Streaks ersetzen echte Gespräche, Likes auf Instagram wiegen manchmal mehr als das echte Lächeln eines Freundes. Für viele Jugendliche ist das Smartphone kein Gerät mehr, sondern ein zweites Ich – mit all den Freuden, aber auch den Abgründen, die dazugehören.
Dabei geht es nicht nur um die Zeit, die sie online verbringen. Es geht darum, wie diese digitale Welt wirkt. Vor allem auf Jugendliche, deren Seelen ohnehin schon ein bisschen mehr tragen als andere. Wenn das Herz schwer ist und die Gedanken ständig kreisen, werden soziale Medien oft zum Rückzugsort. Oder besser gesagt: zur Ablenkung. Da scrollt man sich durch das ach so perfekte Leben anderer, während man selbst nicht einmal aus dem Bett kommt. Und mit jedem weiteren Klick wächst der Druck – schöner, beliebter, lustiger zu sein. Und wenn das Herz eh schon schmerzt, fühlt sich jeder Vergleich wie ein Stich an.
Jugendliche mit psychischen Erkrankungen scheinen besonders tief in diese Welt einzutauchen. Nicht, weil sie sich darin verlieren wollen – sondern weil sie sich dort vielleicht ein kleines bisschen mehr gesehen fühlen. Ein Like kann sich anfühlen wie ein Händedruck. Ein Kommentar wie eine Umarmung. Doch was passiert, wenn der Händedruck ausbleibt? Wenn das Handy stumm bleibt, während man sich doch gerade so sehr nach Bestätigung sehnt?
Und es sind nicht nur depressive Verstimmungen oder Ängste, die hier eine Rolle spielen. Auch Jugendliche, die mit Impulsivität, Reizbarkeit oder starker Unruhe kämpfen – also eher nach außen auffällige Symptome zeigen – hängen vermehrt am Bildschirm. Vielleicht, weil dort niemand „störend“ ruft oder weil die endlose Flut an Reizen im Feed genau das bedient, was im Inneren tobt. Sie klicken, tippen, wischen – nicht unbedingt aus Interesse, sondern aus einem tiefen Drang, irgendetwas zu tun, um sich selbst zu entkommen.
Es ist nicht schwer, sich da hineinzuversetzen. Jeder kennt diese Abende, an denen man müde ist, aber noch eine halbe Stunde durch TikTok streift. Oder das Gefühl, sich schlecht zu fühlen, weil das eigene Leben auf dem Bildschirm so viel grauer wirkt als die bunten Geschichten der anderen. Für Jugendliche, die gerade mitten in der Sturm-und-Drang-Zeit ihres Lebens stehen, ist das besonders intensiv. Da kann schon ein unscheinbarer Post reichen, um den Tag zu verderben. Oder eine Nachricht von der falschen Person, um das Gedankenkarussell in Gang zu setzen.
Interessant – und besorgniserregend – ist, dass gerade Jugendliche mit sogenannten „internalisierenden“ Problemen wie Angst oder Depression oft weniger zufrieden mit ihrer Onlinewelt sind. Sie vergleichen sich mehr, lassen sich von Reaktionen stärker beeinflussen, und sind gleichzeitig weniger ehrlich zu sich selbst. Sie zeigen der Welt ein bearbeitetes Bild, obwohl ihnen selbst gar nicht nach Lächeln zumute ist. Und irgendwie merkt man: Je stärker sie in ihrer Gefühlswelt gefangen sind, desto mehr versuchen sie, nach außen den perfekten Schein zu wahren.
Das ist kein Fingerzeig auf die Jugend. Das ist ein Spiegel für uns alle. Denn was diese jungen Menschen erleben, ist oft nur die Zuspitzung dessen, was viele Erwachsene genauso kennen – nur eben ohne Filter. Soziale Medien sind nicht per se das Problem. Es ist die Art, wie wir sie nutzen. Oder wie sie uns nutzen.
Vielleicht wäre es an der Zeit, die digitale Welt nicht nur sicherer, sondern auch ehrlicher zu machen. Eine Welt, in der nicht nur Glanzbilder zählen, sondern auch echte Geschichten. Eine Welt, in der ein „Ich hab heute einen schlechten Tag“ genauso viel Applaus bekommt wie das perfekte Selfie im Sonnenuntergang. Denn wenn Jugendliche mit psychischen Herausforderungen sich online verlieren, verlieren wir alle ein Stück Zukunft.
Denn die Veränderung beginnt genau dort, wo wir alle anfangen, ein bisschen weniger zu scrollen – und ein bisschen mehr zuzuhören.

„Manchmal fühlt sich ein leerer Bildschirm echter an als ein voller Raum – besonders, wenn man sich selbst darin verliert.“ (K.S.C)