Wir schieben viele Dinge auf später und haben immer eine Begründung dafür parat, doch die Zeit verfliegt, ohne dass wir uns dessen wirklich bewusst sind – als hätte jemand den Zeiger leiser gestellt. Und dann ist da diese leise Frage, die manchmal plötzlich auftaucht, wenn es dunkel wird oder still: Wollen wir das, was wir immer wieder verschieben, überhaupt wirklich? Oder fehlt uns insgeheim das Interesse – obwohl wir es uns selbst so nicht eingestehen? Und wenn ja – warum streichen wir es dann nicht einfach von der Liste, anstatt uns schuldig zu fühlen, wenn wir wieder einmal nicht dazu gekommen sind?
Vielleicht ist es nicht immer fehlendes Interesse. Vielleicht ist es die Angst, dass es schiefgeht. Dass wir versagen. Oder die Angst, dass es klappt – und dann wirklich etwas verändert. Etwas, das nicht mehr rückgängig zu machen ist. Manche Menschen bleiben lieber im Wartesaal des Lebens, weil dort alles noch offen ist, noch sicher, noch nicht gescheitert. Aber auch noch nicht gelebt.
Es gibt Dinge, die wir aufschieben, weil sie groß sind. Zu groß, um sie zwischen Tür und Kaffee zu erledigen. Ein neuer Beruf, ein klärendes Gespräch, eine Reise, die mehr ist als ein Urlaub – eher eine Flucht oder vielleicht sogar eine Heimkehr. Oder der Wunsch, endlich mit dem Sport anzufangen, den man schon seit Jahren nennt, wenn man gefragt wird, was man „eigentlich mal machen wollte“.
Andere Dinge sind kleiner. Und trotzdem bekommen sie keine Bühne. Ein Anruf bei der alten Freundin, eine Umarmung, die man zu oft für selbstverständlich hielt. Ein ehrlicher Brief an jemanden, der es verdient hätte. Warum fallen gerade diese Dinge hinten runter, wenn sie doch schnell erledigt wären? Vielleicht, weil sie ehrlich machen. Und Ehrlichkeit ist nicht immer bequem.
Psychologisch betrachtet nennt man dieses Phänomen „Aufschiebeverhalten“, ein nettes Wort für das, was uns innerlich zermürbt. Die Forschung zeigt, dass es oft nicht Faulheit ist, sondern ein Mix aus Perfektionismus, Angst vor Bewertung und schlechter Emotionsregulation. Wir schieben auf, weil wir uns nicht gut fühlen – und dadurch fühlen wir uns noch schlechter. Ein Teufelskreis mit Kalenderbindung. Und je länger etwas liegen bleibt, desto schwerer wiegt es. So, als würde ein Gedanke in der Ecke immer größer werden, je länger wir ihn ignorieren.
Und doch gibt es auch eine andere Seite. Die, in der das Aufgeschobene gar nicht uns gehört. Wo wir glauben, etwas tun zu müssen, weil es auf der stillen Liste der Erwartungen anderer steht. Wo wir Ziele verfolgen, die wir nie selbst gewählt haben. Vielleicht ist es also gar kein Scheitern, wenn wir diese Dinge nicht verwirklichen. Vielleicht ist es Selbstfürsorge, wenn wir sie loslassen.
Aber was tun mit den Dingen, die wir wirklich wollen? Denen, die uns am Herzen liegen, aber trotzdem immer wieder zwischen Alltag und Müdigkeit verschwinden? Die Antwort liegt nicht im großen Umbruch, sondern oft in kleinen Bewegungen. Fünf Minuten am Tag können ein Anfang sein. Ein einziger Schritt in Richtung des Projekts, des Anrufs, der Idee – kann reichen, um das Gefühl der Ohnmacht zu durchbrechen.
Denn wenn wir ehrlich sind, gibt es keinen besseren Moment als jetzt. Nicht weil jetzt besonders ist, sondern weil das „später“ immer ein Trugbild bleibt. Die perfekte Zeit kommt nie. Aber der perfekte Moment? Der entsteht manchmal, wenn wir einfach anfangen – mit klopfendem Herzen, mit Unsicherheit, mit einem Lächeln, das vielleicht schief ist, aber echt.
Was also, wenn wir anfangen, unsere Liste nicht nur nach Dringlichkeit zu sortieren, sondern nach Echtheit? Was, wenn wir uns erlauben, manche Punkte mutig zu streichen – und andere mutiger anzugehen? Was, wenn wir akzeptieren, dass nicht alles perfekt sein muss, sondern nur echt?
Denn manchmal ist genau das der Beginn von allem: ein nicht perfekter, aber ehrlicher Anfang. Und vielleicht ist das genug. Oder sogar mehr, als wir dachten.
