Du kennst bestimmt diese Bilder – makellos, durchgestylt, jeder Winkel sitzt, als wäre er direkt aus einem Hochglanzmagazin geschnitten. Perfektes Make-up, das Licht stimmt, und natürlich der Filter, der alles auf Hochglanz poliert. Auf den ersten Blick strahlt das Profilbild Selbstbewusstsein und Perfektion aus. Aber wenn du die Person hinter diesem Bild kennst, weißt du: Das ist nicht echt. Das ist nicht sie.

Es ist ein Phänomen unserer Zeit, in der wir unser Leben viel zu oft online teilen und in der das Profilbild zu einer Art Bühne geworden ist. Wir alle wollen in einem guten Licht erscheinen, uns von unserer besten Seite zeigen. Aber manchmal geht diese Inszenierung zu weit. Was eigentlich als authentische Selbstdarstellung gedacht war, wird zu einer Fassade, die dem realen Leben nicht mehr standhält. Du siehst die Person auf diesem Bild, und obwohl alles auf den ersten Blick perfekt wirkt, spürst du, dass da etwas nicht stimmt. Es ist ein Bild, das nach Perfektion schreit, aber gleichzeitig eine Leere hinterlässt.

Warum machen Menschen das? Warum schaffen sie diese Versionen von sich selbst, die so weit weg von der Realität sind? Vielleicht ist es der Druck, den uns soziale Medien aufdrücken. Wir alle vergleichen uns – bewusst oder unbewusst. Ein perfektes Bild jagt das nächste. Wenn du durch deinen Feed scrollst, siehst du nur strahlende Gesichter, perfekte Körper und ein Leben, das nach Abenteuer und Erfolg aussieht. Und dann fängst du an, dich selbst zu hinterfragen: Bin ich gut genug? Sehe ich so aus? Reicht das, was ich habe, aus, um mitzuhalten? Es ist fast unvermeidlich, sich diesem Druck zu beugen und sich in den digitalen Medien so zu inszenieren, wie man glaubt, dass es von einem erwartet wird.

Ein Freund von dir lädt ein solches Bild hoch. Du kennst ihn gut, hast unzählige Stunden mit ihm verbracht, und du weißt, dass dieses Bild wenig mit der Person zu tun hat, die du kennst. In der Realität hat er ein paar Kilos mehr, das Lächeln wirkt nicht so makellos, die Haare nicht so perfekt gestylt. Und doch entscheidet er sich, ein Bild zu teilen, das diese unnatürliche Perfektion zeigt. Warum? Es könnte die Hoffnung sein, akzeptiert zu werden, sich in diese digitale Welt einzufügen, in der das „Perfekte“ die Norm ist.

Aber genau hier liegt das Problem: Diese inszenierten Bilder schaffen eine Distanz zur echten Person. Sie bauen eine Fassade auf, die nur schwer aufrechtzuerhalten ist. Wenn du die Person im echten Leben triffst, ist die Diskrepanz fast schon schockierend. Das Bild, das sie online geschaffen hat, stimmt einfach nicht mit dem überein, was du in der Realität siehst. Und das tut weh – nicht nur für dich als Freund, sondern auch für die Person selbst. Denn mit jedem solchen Bild entfernt sie sich ein Stück weiter von sich selbst.

Das Streben nach diesem digital perfektionierten Selbstbild wird oft zur Last. Es ist nicht nur das Foto, das retuschiert wird, sondern auch die eigene Identität. Man versucht, in eine Rolle zu schlüpfen, die immer schwieriger zu spielen ist. Die Wissenschaft zeigt, dass Menschen, die sich übermäßig mit ihren sozialen Medienprofilen beschäftigen, häufig unter einem stärkeren Gefühl der Unzulänglichkeit leiden. Sie vergleichen sich ständig mit den perfekt inszenierten Versionen anderer und verlieren dabei den Bezug zur Realität – und zu sich selbst.

Es gibt jedoch auch eine andere Seite. Manchmal sind diese inszenierten Bilder ein Schutzmechanismus. Vielleicht fühlt sich die Person im echten Leben unsicher oder unwohl in ihrer eigenen Haut. Das übermäßig bearbeitete Profilbild ist dann eine Art Rüstung, die sie in der digitalen Welt trägt. Es ist der Versuch, die eigene Unsicherheit zu verbergen und eine Version von sich zu zeigen, die man gerne wäre, aber vielleicht nie sein kann. Doch was passiert, wenn diese Rüstung Risse bekommt? Wenn die Realität nicht mehr mit der digitalen Inszenierung übereinstimmt?

Es ist fast tragisch, wie diese Perfektion, die auf den ersten Blick so strahlend wirkt, am Ende doch bröckelt. Die Menschen hinter diesen Bildern sind oft auf der Suche nach Anerkennung, nach Bestätigung, nach einem Gefühl, gut genug zu sein. Doch was sie nicht erkennen, ist, dass sie sich in einer Spirale verlieren, in der das echte Selbst immer weiter in den Hintergrund tritt.

Am Ende bleibt die Frage: Warum machen wir das? Warum schaffen wir eine Version von uns selbst, die nicht echt ist? Vielleicht ist es der Wunsch, geliebt zu werden. Vielleicht ist es die Angst, nicht akzeptiert zu werden, so wie wir wirklich sind. Aber was wäre, wenn wir den Mut hätten, diese Fassade fallen zu lassen? Wenn wir uns so zeigen, wie wir wirklich sind – mit all unseren Unvollkommenheiten, mit unseren Ecken und Kanten?

Vielleicht wäre das der befreiendste Schritt von allen. Denn am Ende des Tages geht es nicht darum, wie perfekt wir online aussehen, sondern darum, wie wir uns im echten Leben fühlen. Und das wahre Glück kommt nicht von der Anzahl der Likes oder von einem perfekten Profilbild, sondern von der Akzeptanz unserer selbst – so wie wir wirklich sind, ohne Filter, ohne Fassade.

Von Kamuran Cakir

Aus einem anderen Blickwinkel

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