Manche Menschen trinken morgens Kaffee und sind danach sofort wach, konzentriert, bereit für den Tag. Andere trinken drei Tassen und könnten danach direkt wieder ins Bett. Ähnlich verhält es sich mit Medikamenten wie Ritalin. Es ist eines der bekanntesten Mittel zur Behandlung von ADHS – und wird von vielen auch dann genommen, wenn gar keine Diagnose vorliegt. Einfach nur, um klarer zu denken, fokussierter zu arbeiten, besser zu funktionieren. Aber funktioniert das wirklich bei allen gleich?

Wer schon mal versucht hat, mit Ritalin die Konzentration zu steigern, merkt schnell: Es ist nicht immer die Wunderdroge, für die sie manche halten. Bei manchen tut sich fast nichts – bei anderen wird plötzlich das Hirn zur geölten Maschine. Und wieder andere fühlen sich nervös, fahrig, irgendwie unwohl. Dabei liegt die Erklärung nicht in der Laune des Medikaments, sondern tief im Inneren unseres Kopfes: in der ganz eigenen Art, wie unser Gehirn verkabelt ist.

Jeder Mensch trägt sein eigenes Schaltplan-Modell mit sich herum. Und das ist auch gut so – denn diese Unterschiede machen uns einzigartig. Gleichzeitig machen sie es aber auch verdammt kompliziert, wenn es darum geht, ein Medikament für alle gleich wirken zu lassen. In unserem Gehirn gibt es Rezeptoren – winzige Empfangsstationen – die auf bestimmte Botenstoffe reagieren. Einer dieser Stoffe heißt Dopamin, und er ist so etwas wie der Regisseur unserer Aufmerksamkeit, Motivation und Konzentration.

Das Spannende: Es gibt verschiedene Arten von Dopamin-Rezeptoren. Zwei davon heißen D1 und D2. Man kann sich das ein bisschen vorstellen wie zwei Musikrichtungen: Die einen tanzen lieber zu Jazz (D1), die anderen eher zu Rock (D2). Und je nachdem, welcher „Kanal“ in deinem Gehirn gerade aktiver ist, reagierst du eben auch anders auf das, was Ritalin mit dir macht. Hast du mehr Jazz im Kopf? Dann läuft dein Gedächtnis vielleicht auch ohne Stimulanzien ganz gut. Ist bei dir Rock angesagt, könnte Ritalin dafür sorgen, dass deine Gedanken endlich wieder einen klaren Rhythmus bekommen.

Aber genau da liegt der Knackpunkt: Wenn du schon gut funktionierst – also eine hohe Grundaktivität in den richtigen Hirnregionen hast – bringt dir der zusätzliche Dopamin-Schub durch Ritalin nicht viel. Im Gegenteil: Es kann sein, dass du dich eher unwohl fühlst, weil dein inneres Orchester plötzlich übersteuert. Für andere hingegen, deren Hirn im Grundzustand eher im Energiesparmodus läuft, ist das Medikament wie ein Dirigent, der endlich Ordnung ins Chaos bringt.

Was das alles bedeutet? Ganz einfach: Nicht jeder braucht Ritalin, und nicht jeder profitiert davon. Gerade bei Menschen ohne ADHS, die das Medikament in der Hoffnung nehmen, sich einen geistigen Vorsprung zu verschaffen, kann der Schuss nach hinten losgehen. Denn unser Gehirn ist kein Einheitsprodukt mit Seriennummer. Es ist eher wie ein handgemachter Schuh – was bei einem perfekt passt, kann beim anderen drücken, scheuern oder gar Schmerzen verursachen.

Und so stehen wir heute an einem Punkt, an dem wir verstehen: Die Wirkung von Ritalin ist nicht nur eine Frage des Medikaments – sie ist eine Frage des Menschen. Seines Gehirns. Seiner individuellen Rezeptor-Landschaft. Und seiner ganz eigenen Geschichte.

Vielleicht ist es also gar nicht so überraschend, dass Konzentration nicht aus der Packung kommt. Sondern aus einem tieferen Verständnis – für das eigene Denken, für die eigenen Bedürfnisse, für die vielen kleinen Unterschiede, die uns menschlich machen. Und vielleicht liegt in dieser Erkenntnis auch eine gewisse Befreiung. Denn wer weiß – vielleicht warst du nie unkonzentriert. Vielleicht warst du einfach nur auf dem falschen Kanal unterwegs.

Von Kamuran Cakir

Aus einem anderen Blickwinkel

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