Es ist Montagabend. Der Esstisch ist voller Arbeitshefte, zerknitterter Blätter und einem bunt durcheinandergewürfelten Haufen Stifte. Mittendrin sitzt Leo, der verzweifelt auf seine Matheaufgaben starrt. Die Eltern stehen daneben, abwechselnd aufmunternd und leicht genervt, weil sie wissen, dass der Film, den sie eigentlich schauen wollten, noch eine Weile warten muss. Kommt dir das bekannt vor?
Viele Eltern wollen nur das Beste für ihre Kinder, vor allem, wenn es um die Schule geht. Sie helfen bei den Hausaufgaben, stellen Fragen für den Test am nächsten Tag und werfen am Wochenende auch mal einen Blick in die Schulhefte. Sie meinen es gut. Aber was, wenn diese gut gemeinte Unterstützung dem Kind am Ende mehr schadet als nützt?
Forschungen zeigen tatsächlich, dass zu viel elterliche Hilfe, insbesondere bei Hausaufgaben, einen gegenteiligen Effekt haben kann. Warum? Weil Kinder irgendwann das Gefühl bekommen, dass sie selbst nichts schaffen können. Ihre Eltern sind immer da, retten sie vor schwierigen Aufgaben und, ohne es zu merken, schwächen sie das Vertrauen der Kinder in die eigene Fähigkeit, Probleme zu lösen. Das kann dazu führen, dass ein Kind irgendwann aufgibt, bevor es überhaupt angefangen hat. Warum sollte es sich auch anstrengen, wenn Mama und Papa es doch sowieso richten?
Aber es gibt noch mehr Stolpersteine. Ein anderes klassisches Beispiel: Zeugnisgeld. Eltern versprechen ihren Kindern eine Belohnung, wenn die Noten gut genug sind. Geld für gute Noten scheint eine schnelle und einfache Motivation zu sein. Doch auch das kann negative Auswirkungen haben. Kinder fangen an, den Wert von Wissen mit Geld gleichzusetzen. Sie lernen nicht, weil sie neugierig sind oder stolz auf ihre Fortschritte, sondern nur, weil sie sich etwas verdienen wollen. Wenn der Anreiz wegfällt, verschwindet auch die Motivation. Und was dann?
Ich erinnere mich an einen Fall aus der Grundschule meines Kindes, in dem ein Junge für jede Eins auf dem Zeugnis 50 Euro bekam. 50 Euro! In der vierten Klasse! Für eine Achtjährige klingt das wie der große Jackpot. Doch was passierte, als in einem Schuljahr nur Dreien und Vieren dabei herauskamen? Der Junge war enttäuscht, klar. Aber nicht, weil er mit seinen Noten unzufrieden war – sondern, weil er den neuen Gaming-Controller nicht bekommen würde. Das Lernen an sich war längst in den Hintergrund gerückt.
Natürlich wollen Eltern das Beste für ihre Kinder, aber oft ist weniger mehr. Kinder brauchen vor allem Unterstützung, die ihnen zeigt, dass sie es allein schaffen können. Die Aufgabe der Eltern ist es, ihnen die Werkzeuge in die Hand zu geben, statt ständig selbst den Hammer zu schwingen.
Was also tun? Vielleicht sollten wir als Eltern öfter einen Schritt zurücktreten. Unsere Kinder sollen wissen, dass wir da sind, um sie aufzufangen, aber dass sie es auch mal selbst probieren müssen. Ja, das kann heißen, dass die Matheaufgabe mal falsch gelöst wird. Oder dass das Gedicht für den nächsten Deutschtest nicht perfekt auswendig gelernt ist. Aber genau das sind die Momente, in denen Kinder wachsen. Sie lernen, Verantwortung zu übernehmen, sich zu bemühen und stolz auf ihre eigenen Leistungen zu sein – auch wenn diese manchmal nicht sofort perfekt sind.
Und mal ehrlich: Hast du dir jemals gewünscht, dass jemand dir in der Schule alles abnimmt? Wahrscheinlich nicht. Die Schulzeit ist schließlich eine der wichtigsten Phasen im Leben, in der man lernt, wie man mit Herausforderungen umgeht, wie man sich selbst motiviert und wie man, ganz nebenbei, das Chaos am Schreibtisch halbwegs in den Griff bekommt.
Also, beim nächsten Mal, wenn Leo am Esstisch sitzt und seufzt, weil er die Lösung für seine Matheaufgabe nicht sofort findet, lass ihn ruhig ein bisschen kämpfen. Sei da, aber übernimm nicht die Kontrolle. Das ist vielleicht die beste Hilfe, die du ihm geben kannst.